136 - Zigeunerspuk
noch mit den Fingerkuppen berührte. Er konnte es also nicht nur nicht sehen, sondern auch nicht berühren, wenn Coco nicht als Medium zwischengeschaltet war.
Sie streckte die Gemme vor. Im gleichen Moment, als sie das Skelett damit berührte, explodierte es förmlich und verschoß Flammenbahnen und Funken nach allen Seiten. Diesmal sah sie auch Matteo. Er riß Coco zurück. Beide strauchelten ins Gras und Laub. Im nächsten Moment begannen die Reste des Gerippes zu schmelzen. Es zerfloß und versickerte einfach im Boden. Es wurde wieder dunkel. „Die Gemme hat es zerstört", sagte Coco. „Es muß intensiv mit Schwarzer Magie aufgeladen gewesen sein."
Matteo schluckte.
„Gerard Despense… er ist also doch ermordet worden", sagte er. „Aber wer zum Teufel war dann der junge Bursche, der sich als Despense ausgab?"
Coco erhob sich.
„Unser Gegner", sagte sie. „Er ist der Dämon. Er hat die Gestalt des echten Despense übernommen und vollführt nun den weiteren Spuk. Das war es, was ich wissen wollte. Nun werden wir ihn finden."
„Ich weiß, wo er wohnt", sagte Matteo. „Nach dem Ärger mit der Polizei habe ich ein wenig in der Stadt Detektiv gespielt. Ich kann dich nach der Vorstellung hinfahren."
Coco nickte. „Das ist gut. Ich werde dem Spuk ein Ende machen. Gehen wir. Hier oben haben wir nichts mehr zu tun."
Sie kehrten zur Lichtung zurück.
Dort wartete ein düsterer Schatten in der Dunkelheit auf sie. Matteo riß die Lampe hoch und strahlte ihn an. Es war ein Mensch. Nicht Gerard Despense, sondern jemand, den sie beide nicht kannten.
Er hielt eine Pistole in der Hand und zielte damit auf Coco Zamis. Und ohne Warnung drückte er ab.
Auch unten im Lager wurde der Schuß gehört. Aber kaum jemand achtete darauf. Die Zuschauer, die sich im Zelt befanden, konnten ihn nicht wahrnehmen, und die sich im Freien zwischen den Ständen aufhielten, glaubten, es gehöre zur Vorstellung. Nur einige der Zigeuner wurden aufmerksam.
Zu ihnen gehörte Raffael, das Sippenoberhaupt, und Lucia, die von Geburt an stumm war. Eine Giftschlange ringelte sich um ihren Hals und ihren Oberkörper, und gedankenverloren streichelte das Mädchen die Schuppenhaut des Reptils. Lucia hatte ihre Vorstellung gerade beendet und die anderen Schlangen bis auf dieses Exemplar in ihre Behältnisse zurückgeschafft. Sie trug noch ihr knappes Bühnenkostüm. Auf der Rückseite des Zeltes zog sie die Kiste auf Teewagenrädern zu ihrem Wohnwagenteil, als sie den Knall vernahm.
Raffael trat gerade aus dem Hintereingang. Beider Blicke flogen zum Wald.
Lucia ließ den Schlangenwagen stehen und lief los, über die. Wiese dem Wald zu. Mit ein paar Sätzen war Raffael hinter ihr her, „Du bleibst hier", herrschte er sie an. Aber Lucia wagte es, zu widersprechen. Sie deutete auf ihre Schlange, dann auf sich und schließlich auf den Wald, machte dann die Geste des Zubeißens. Da nickte Raffael. Vielleicht war es gar nicht so dumm, die Schlange einzusetzen. Seltsamerweise gehorchten die Tiere dem Mädchen. Irgendwie brachte es Lucia fertig, ihnen Befehle zu übermitteln, und die Schlangen führten sie aus. Raffael vermutete, daß mehr dahinter steckte als nur Dressur. Vielleicht besaß Lucia die Gabe, den Schlangen ihren Willen hypnotisch aufzuzwingen.
Und die Schlange würde wahrscheinlich nicht auf irgendeinen Spuk hereinfallen. Damals, als Raffael das Dämonenkind in seinem Bauch trug, hatte eine von Lucias Schlangen auch darauf reagiert und Raffael angegriffen.
Vielleicht erwies sich die Schlange, die Lucia jetzt gerade bei sich trug, als ebenso wachsam.
Raffael rannte hinter seiner Tochter her. Die kam schneller voran als er, der mit erheblich mehr Pfunden gesegnet war. Aber am Waldrand wartete Lucia auf ihn. Sie kauerte sich ins Gras und ließ die Schlange von ihrem Körper gleiten. Lautlos verschwand das Reptil in der Dunkelheit.
Raffael fühlte sich unbehaglich. „Hoffentlich greift das Biest nicht den Falschen an", knurrte er und dachte dabei hauptsächlich an sich selbst. Aber Lucia machte ihm mit Hilfe der Zeichensprache klar, daß er nichts zu befürchten habe. Dann bewegte; sie sich geschmeidig vorwärts und verschwand zwischen den Zweigen. Raffael folgte ihr mit gemischten Gefühlen.
Sie näherten sich der kleinen Lichtung, auf der das Unheimliche seinen Anfang genommen hatte.
Coco versetzte sich in den schnelleren Zeitablauf. Die Umgebung erstarrte. Sie sah den Mündungsblitz, und sie sah die Kugel als dunklen Fleck auf
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