136 - Zigeunerspuk
nickte und folgte ihm. Der Zigeuner bog Zweige zur Seite, einige brach er auch ab, damit sie Coco nicht behinderten oder ihr beim Loslassen ins Gesicht schnellten. Nach einer Weile blieb er stehen.
„Hier lag das Skelett", sagte er. „Ich erkenne die Stelle wieder. Hier, der umgestürzte Baum hinter der Buschgruppe."
Coco umklammerte die Gemme. Ein Hitzeschauer ging von dem kleinen weißmagischen Gegenstand aus.
„Ja", sagte sie. „Ich spüre es. Hier war es. Und hier…"
Sie sah, was Matteo nicht sehen konnte. Und das war für ihn vielleicht ganz gut, denn er hätte endgültig an seinem Verstand gezweifelt…
„Georges Charieux", sagte Gerard Despense plötzlich.
„Was?" schreckte Silvie auf. „Was sagtest du?"
„Ach, nichts", murmelte Gerard. „Ich muß kurz fort. Ich habe etwas zu erledigen."
„Jetzt? Am Abend?" wunderte sie sich. „Wer ist dieser… Charieux, oder wie du ihn nennst?"
„Du kennst ihn nicht", wich er aus. Seine Stimme klang schroffer, als Silvie es von ihm kannte. Gerard erhob sich und verließ das kleine Wohnzimmer. Silvie sprang auf und sah, wie er sich an der Garderobe die Lederjacke überstreifte.
„Warte - ich komme mit", sagte sie entschlossen.
Blitzschnell drehte sich Gerard um. Er sah Silvie nur an, aber in seinem Blick war etwas, das sie frieren ließ. Ich habe Angst, dachte sie wieder. Das war nicht mehr der Gerard, den sie kannte. Konnte sie diesen Mann überhaupt noch lieben? Er war zu einem Fremden geworden.
Ihr soeben noch gefaßter fester Entschluß, ihn zu begleiten, zerbrach. Sie ging rückwärts, bis sie an den Sessel stieß und sich hineinfallen ließ. Gerard Despense verließ die Wohnung.
Georges Charieux, dachte sie. Wer ist das, und was will Ge plötzlich von ihm?
„Wer sind Sie?" fragte Charieux. Aber im gleichen Moment, in dem er in die Augen des Fremden sah, wußte er es.
Ich habe es geahnt, dachte er. Es konnte nicht bei dem Erlebnis mit der Hexe in der Nacht bleiben. „Ich habe dich ausgesucht, weil du am geeignetsten von allen für das bist, was wir vorhaben", sagte Despense. „Begleite mich."
„Ja", sagte Charieux. Er fragte sich, warum er dem Fremden nicht die Tür vor der Nase zuschlug. Warum er nicht nein sagte. Warum er nicht in seiner Wohnung blieb. Mit Entsetzen stellte er fest, daß er keinen eigenen Willen mehr besaß. Er war dem Fremden ausgeliefert. Was immer dieser befehlen würde - Georges Charieux mußte es tun.
Er folgte dem Fremden nach draußen. Er wußte, daß es falsch war, was er tat, aber ihm blieb keine andere Wahl. Das nächtliche Erlebnis mit der Hexe hatte etwas in ihm eingepflanzt, das jetzt blitzschnell auskeimte und zu wuchern begann.
Charieux war nicht mehr er selbst.
„Was ist denn noch? Spürst du etwas, Coco?" fragte Matteo Amalfi. Er sah auf die Uhr. Sie leuchtete hell im Lichtkegel auf. „Ich muß gleich wieder zurück, mich für die Vorstellung bereit halten." Coco preßte die Lippen zusammen. Sah Matteo wirklich nichts? Da lag das Skelett!
So, wie es ihr beschrieben worden war. Sie ging in die Hocke, streckte die linke Hand aus und berührte es. Wie Gummi fühlten die Knochen sich an. Coco fragte sich, wer oder was in aller Welt in der Lage war, einen Menschen auf diese Weise aufzulösen. Wenn er mit Säure in Berührung gekommen war, so mußten doch überall noch Säurespuren in der Umgebung zu finden sein.
Welcher Dämon hatte ihn getötet?
„Was hast du da?" fragte Matteo. Er sah, wie Coco im Unsichtbaren herum griff.
„Das Skelett ist hier", sagte sie. „Gerard Despense ist tot."
„Unmöglich! Du mußt dich irren sagte Matteo. „Da ist nichts. Die Polizei hätte es doch sonst gefunden!"
„Folge meiner Hand", bat sie.
Matteos Finger glitten über ihre Hand zu den Fingerspitzen - und stießen auf Widerstand. Überrascht riß er Mund und Augen auf. Er konnte etwas fühlen, was er nicht sah! „Ich werd' verrückt", stieß er hervor.
Coco überlegte, ob es sinnvoll war, das Skelett mitzunehmen. Aber würde sie damit nicht Unheil ins Lager der Zigeuner tragen? Sie entschied sich dagegen. Mochte das zerstörte Knochengerüst vorerst hier bleiben. Es lag seit ein paar Tagen hier, und es würde auch noch weitere Tage hier liegen können. Nur sie konnte es sehen, den Augen anderer Menschen blieb es verborgen. Coco zog ihre Hand fort. Im gleichen Moment gab Matteo einen Laut der Verwunderung von sich.
„Es ist weg! Ich fühle es nicht mehr!"
Aber Coco sah deutlich, daß er es immer
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