136 - Zigeunerspuk
Zärtlichkeiten.
Plötzlich hob er den Kopf. „Da war doch was…?"
„Ein Spanner?" fragte Silvie leise.
Gerard machte Anstalten, sich zu erheben. Silvie hielt ihn fest. „Nein, Ge… doch nicht jetzt!
Komm… "
Aber das konnte Gerard nicht mehr. Der Verursacher des Geräusches trat in Erscheinung. Und er tat dies mit geradezu mörderischer Wucht.
Gerard kam nicht mehr zum Aufschrei. Etwas packte ihn und schleuderte ihn durch die Luft. Silvie hörte ein wildes Fauchen und Grollen. Dann sah sie einen rasenden Wirbel aus Braun, Weiß und Rot, hörte ein häßliches Knacken und Krachen. Dunkler, zottiger Pelz raste an ihr vorbei, etwas versetzte ihr einen Schlag, der sie zwischen die Zweige eines Brombeerstrauchs schleuderte. Dann war der Alptraum verschwunden.
Silvie arbeitete sich zerkratzt aus dem Strauch hervor. Ihre Augen weiteten sich. Wo war Gerard? „Ge?" stöhnte sie auf. „Gerard, was…?"
Aber da war nur noch eine Blutspur, die ins Unterholz führte.
Da begann sie zu schreien und zu laufen…
Matteo Amalfi, ältester Sohn des Sippenoberhaupts Raffael Amalfi, stoppte ihren rasenden Lauf, der das Mädchen direkt auf das Zigeunerlager zuführte. Verwirrt sah er dem nackten Mädchen ins Gesicht, in dem der beginnende Wahnsinn flackerte.
Etwas Entsetzliches mußte ihr zugestoßen sein. Und als Matteo sie festhielt, schlug und trat sie um sich wie eine Wahnsinnige. Matteo machte kurzen Prozeß und betäubte sie. Er hatte keine Lust, sich auf öffentlichem Gelände mit einem nackten Mädchen zu prügeln. Ebenso unmöglich war es, es weiterlaufen und weiterschreien zu lassen. Was immer dort, von wo sie geflüchtet war, geschehen sein mochte - ihr mußte geholfen werden, und das sofort und notfalls auch ohne ihre Zustimmung. Sie schien ohnehin vor Entsetzen nicht mehr klar im Kopf zu sein.
Die anderen Sippenangehörigen strömten, durch die Schreie alarmiert, ebenfalls herbei, sofern sie die Hände freimachen konnten. An einer riesigen Zuschauermenge war Matteo aber nicht interessiert. Er lud sich das Mädchen über die Schulter und trug es zum Wohnwagen. Der stand im Moment leer, weil die gesamte Sippe damit beschäftigt war, das Zelt und die Stände aufzubauen.
Matteo schloß den Wohnwagen ab und warf den Schlüssel in die Luft, fing ihn geschickt wieder auf. Dann drückte er ihn seiner Mutter in die Hand, die sich nach vorn schob.
„Das Mädchen hat einen Schock. Kannst du dich bitte um sie kümmern?" Ohne eine Antwort abzuwarten, winkte er Andrej zu, seinem jüngsten Bruder. „Komm, wir sehen nach, was da oben geschehen ist", sagte er. „Ich nehme an, da hat ein Strolch versucht, das Mädchen zu vergewaltigen." „Den kaufen wir uns!" Andrej lockerte das Messer, mit dem er ebenso wie Matteo hervorragend umzugehen verstand. Die beiden jungen Männer eilten über die Wiese den Hang hinauf, dem Wald entgegen. Von dort war das Mädchen gekommen, die Spur im hohen Gras war noch zu sehen. Es gab also keine Möglichkeit, in die falsche Richtung zu laufen. Die entstand erst, als sie das Wäldchen erreicht hatten.
Matteo sah abgeknickte Zweige. Er lief etwas langsamer weiter, drang durch die eng stehenden Bäume zu einer kleinen Lichtung vor, die von außerhalb nicht zu erkennen war. Neben ihm schrie Andrej plötzlich auf.
Er zeigte auf Kleidungsstücke, die nicht allein dem Mädchen gehören konnten. Da hing ein Fetzen in Augenhöhe an einem Ast, wie von scharfen Krallen zerrissen. Und da war Blut. Eine rote Spur führte ins Dickicht und versiegte nach ein paar Metern. Aber abgebrochene Zweige verrieten den Weg eines unheimlichen Mörders noch über mehrere hundert Meter.
Und da lagen die Knochen. Teile eines menschlichen Skeletts, die aussahen, als habe sie jemand mit einer Säure bearbeitet.
Matteo würgte und kämpfte gegen die Übelkeit an. Andrej hatte schon vorher aufgegeben und war auf der Lichtung zurückgeblieben. Matteo kehrte zu ihm zurück. Seine Gedanken überschlugen sich. Hier war jemand ermordet worden. Nein, nicht nur ermordet, sondern regelrecht verschlungen. Ein Liebespärchen hatte sich hier vergnügt, und dieses Vergnügen hatte ein grausiges Ende gefunden. Kein Wunder, daß das Mädchen dem Wahnsinn nahe war. Und es hatte unverschämtes Glück gehabt, daß die ungeheuerliche Mörderkreatur es nicht auch erwischt hatte.
„Laß alles hier liegen", sagte Matteo. „Das Mädchen bekommt Kleidung von uns. Lucia hat bestimmt ein paar passende Sachen. Wir müssen beraten. Vater
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