136 - Zigeunerspuk
umgebracht. Wem wird man glauben? Uns und dem Mädchen, das unter Schock steht, oder den üblichen Vorurteilen? Wir werden auch so genug zu kämpfen haben. Aber ohne daß wir der Polizei Bescheid geben, geht es nicht. Fahr los, Matteo, und komm so schnell wie möglich wieder zurück."
Matteo nickte. Er faßte nach der Hand des Mädchens.
„Kommen Sie, Mademoiselle. Ich habe den Wagen draußen."
Raffael sah ihm nach, als er davonfuhr. Die Reihenfolge der Vorstellung, die in Kürze begann, würde umgestellt werden müssen. Die Messerwerfer-Vorstellung der Amalfi-Brüder würde später kommen müssen. Das war kein Problem. Raffael begann, seine Sippenangehörigen gehörig durcheinander zuscheuchen und das, was er Ordnung nannte, in das, was er Durcheinander nannte, zu bringen.
Schließlich kehrte er in den Wohnwagen zurück. Es wurde dunkel, und er sah die Lichter von Autos, die kamen und auf der großen Wiese parkten. Die ersten Schaulustigen, von denen ein Teil schon am Nachmittag die Karten gekauft hatten. Es wurde Zeit, daß sich Louretta an den Stand begab und weitere Karten veräußerte.
„Es fängt böse an", murmelte Raffael. Er hoffte, daß Dorian und Coco rasch kommen würden. Er hatte zwar noch keine Zusage, aber sie würden sich der Einladung kaum entziehen können. Immerhin waren sie zu Ehrenmitgliedern der Amalfi-Sippe ernannt worden. Und die Hochzeit ging eben jedes Familienmitglied etwas an.
Stefan Amalfi heiratete ein Mädchen aus einer französischen Zigeunersippe. Das sollte ein Fest geben, wie es die Welt noch nicht gesehen hatte. Immerhin waren die Amalfis berühmt. Raffael war schon drüben in den USA in einer Reihe von Fernsehshows gewesen, bis es ihm dort zu hektisch wurde und er wieder nach Europa zurückkehrte. Und dieser Ruhm, von dem er immer noch mit Recht zehrte, verpflichtete eben. Und die Familie, in die Stefan jetzt einheiratete, war auch nicht gerade unwichtig.
Hier in der Bretagne, im Lamballe, sollte die Hochzeit stattfinden. Krönender Höhepunkt der Schau am Schluß der Vorstellungswoche. Sollten die Seßhaften doch einmal erleben, wie die Romani Feste zu feiern verstanden.
Aber ein Schatten lag über dem Fest. Der Mord an dem Einheimischen. Und wieder wünschte Raffael sich, Dorian und Coco wären schon hier. Sie würden schneller Licht ins Dunkel bringen.
Der Schwertschlucker trat wieder ins Freie. Er sah einen jungen Mann zwischen den Schaulustigen, der ein zusammengerolltes Bündel unter dem Arm trug und sich immer wieder suchend umsah. Raffael wollte ihn schon ansprechen, ob er ihm behilflich sein könne, aber da verschwand der junge Mann. Raffael Amalfi dachte sich nichts weiter dabei.
Nach gut einer halben Stunde wimmelte es oben am Berg von Polizisten. Auch Andrej Amalfi war mit hinaufgegangen. Immer wieder sahen sein Bruder Matteo und er sich fassungslos an. Sie verstanden beide die Welt nicht mehr. Der Einsatzleiter der Polizeibeamten schüttelte den Kopf. „Wenn ihr euch nur wichtig tun wolltet, dann könnt ihr was erleben. Ich sorge dafür, daß ihr bis zum Nimmerleinstag eingesperrt werdet wegen Irreführung der Behörden…"
„Fragen Sie doch das Mädchen", fauchte Matteo. „Die spielt Ihnen nichts vor… die ist wirklich fertig! Und hier, die abgeknickten Zweige, das niedergetretene Laub…"
„Beweist nur, daß jemand hier war", schnarrte der Einsatzleiter. „Mehr nicht!"
Es gab keine Spuren! Weder die Kleidungsfetzen, noch das Blut auf dem Boden und an den Blättern. Es gab auch das von Säure zersetzte Skelett nicht. Nichts deutete darauf hin, daß hier ein Mensch auf grausige Art umgebracht worden war.
Aber es konnte doch niemand die Blutspuren so perfekt beseitigen! Nicht hier im Wald! Auch wenn es Nacht war - die Halogenlampen, die die Polizisten aufgebaut hatten, rissen jede Einzelheit schonungslos aus der Dunkelheit. Und bei der Sorgfalt, mit der die Beamten vorgingen, entging ihnen nichts. Sie fanden sogar Blattläuse an den Sträuchern. Blut konnte ihnen da erst recht nicht entgehen. Und so exakt konnte niemand in der wenigen zur Verfügung stehenden Zeit hier alles säubern.
„Aber wir haben doch nicht geträumt", murmelte Andrej verwirrt. „Ich weiß doch, was wir hier gesehen haben… "
„Ich weiß, was passieren wird", sagte der Polizist. „Ich verpasse Ihnen eine Anzeige wegen groben Unfugs. Und wir werden Ihnen eine Rechnung zukommen lassen für die Unkosten, die dieser Einsatz mit sich gebracht hat. Freuen Sie sich schon mal
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