1382 - Götterfluch
tot?«
»Die Frau auf dem Küchentisch. Wohl die Mutter…«
»Du bist sicher, Ben?«
Oxley wischte über seine Augen. »Gemetzelt«, flüsterte er mit kaum verständlicher Stimme. »Der Mörder hat die Frau gemetzelt. Anders kann man es nicht sagen, wirklich nicht.«
Tony Hurst wusste nicht, was er sagen sollte. Mehr als ein Kopfschütteln brachte er nicht zustande. Aber er brauchte nur in das Gesicht seines Kollegen zu schauen, um zu wissen, dass ihm dieser Mann bestimmt keine Märchen erzählte.
»Ja«, sagte er dann mit leiser Stimme. »Ja, ich verstehe, Ben. Ich verstehe dich wirklich. Hast du sonst noch jemand im Haus gesehen, oder ist dir etwas aufgefallen?«
»Nein.«
»Wirklich nicht?«
Ben hob nur die Schultern. Dann drehte er sich um und ging bis zum Straßenrand. Dort konnte er sich nicht mehr halten. Er musste sich einfach übergeben.
Tony Hurst stand regungslos in der Nähe. Er war ebenfalls blass geworden. Dass die ersten Regentropfen fielen, bemerkte er nicht. Er starrte ins Leere, bis er auf einmal den Kopf drehte und sein Blick gegen den Wagen fiel.
Hinter der Scheibe sah er einen blassen Schatten. Es war das Gesicht des Mädchens, und er konnte jetzt verstehen, weshalb es so reagiert hatte.
Die Kleine tat ihm Leid. Sie würde sich wahrscheinlich nie im Leben von diesem Schock erholen. Er konnte nichts für sie tun, und deshalb fühlte er sich so verdammt elend und hilflos.
Als sich Ben Oxley aufrichtete und mit einem Taschentuch seinen Mund abwischte, tauchte sein Kollegen in den Streifenwagen ein und griff zum Funkmikro, um die Zentrale zu informieren…
***
Die Tat wurde unter der Decke gehalten. Die Presse erfuhr nichts darüber, wie die Frau ums Leben gekommen war, aber der Polizei gelang es auch nicht, den Mörder zu finden.
Man suchte intensiv nach ihm. Es wurde eine Sonderkommission gebildet, doch auch das brachte keinen Erfolg, und so legte man den Fall irgendwann zu den Akten.
Aber es gab noch das Kind. Es hieß Rebecca Storm, das fand man schnell heraus, aber nach einem Vater hielt man vergeblich Ausschau. Man fand auch keine Verwandten, die das Kind hätten aufnehmen können, und so blieb nur eine Möglichkeit.
Rebecca kam in ein Waisenhaus.
Waisenhäuser sind für Kinder nicht die beste Lösung, aber es gab keine andere Möglichkeit, da sie ohne Anhang war. Sie musste mit den anderen Kindern zusammen sein, und das war im ersten Jahr für das stille, noch immer geschockte Mädchen eine Hölle, und auch die Erzieher fühlten sich von der Anzahl der Kinder überfordert.
In derartigen Häusern hofft wohl jedes Kind, dass jemand kommt, sich umschaut und ein Funke der Sympathie überspringt, sodass ein Besucherpaar sagt: »Ja, das ist er oder sie!«
Dann wird das Kind aus dem Waisenhaus geholt, und die anderen, die zurückbleiben, können nur verzweifelt schauen und darauf hoffen, dass auch ihnen das Schicksal irgendwann gütig ist.
So etwas passiert leider nur selten. Auch Rebecca hatte davon gehört, sich aber nicht darauf eingestellt, dass ein gütiges Schicksal sie aussuchen würde, um von einer richtigen Familie aufgenommen zu werden.
Bis zu dem Tag, als sie aus der Schule kam und von der Chefin des Heims an der Tür abgefangen wurde.
Es war eine ältere Frau, aber mit sehr gütigen Augen, die manchmal richtig strahlen konnten, wenn sie etwas Besonderes zu verkünden hatte.
Das passierte jetzt, als Mrs. Lange auf die kleine Rebecca zukam.
»Nun, wie war es in der Schule?«
»Gut.«
»Schön. Auch deine Lehrerin sagt immer, dass du gut lernst, was mich sehr freut.«
Wer länger in dem Heim lebte, der hatte gelernt, seine Gefühle im Zaum zu halten. So auch Rebecca. Sie stand den Worten der Mrs. Lange skeptisch gegenüber und sagte zunächst nichts, sondern schaute der Chefin nur in die Augen.
»Auch du darfst dich freuen, Rebecca.«
»Warum?«
»Weil du Besuch bekommen hast.«
»Ich? Wieso? Ich kenne keinen.«
»Aber man kennt dich.«
»Wer?«
Das Kind erhielt die Antwort erst, als es mit der Erzieherin zur Seite gegangen war und die runde Bank erreichte, die sich um den Stamm eines Baumes wand.
»Setz dich doch.«
Rebecca nahm zögernd Platz.
Mrs. Lange lächelte wieder so fröhlich. Erst jetzt begriff das Mädchen, dass doch mehr dahinterstecke als nur ein kurzes Gespräch, das auch im Büro der Leiterin hätte geführt werden können.
»Ich denke, dass du uns schon bald verlassen kannst, denn Mrs. und Mr. Taylor haben sich entschlossen, dich zu
Weitere Kostenlose Bücher