14 - Geheimagent Lennet und der Scheintote
brasilianische Regierung würde bestimmt alles tun, um den Ablauf der Formalitäten zu erleichtern. Die Autopsie könnte auch in Frankreich erfolgen, unter der Bedingung, daß das Ergebnis der brasilianischen Polizei offiziell mitgeteilt würde.
Der Sekretär hatte noch nicht aufgehängt, als seine Frau, die das Gespräch mit angehört hatte, ihre beste Freundin anrief…
Um halb fünf Uhr morgens erwachte Nanette Montdidier, die alle drei Konzerte mit Julio gehört hatte, zwölf Autogramme von ihm bekommen hatte und mit seinem Bild unter ihrem Kopfkissen schlief, durch einen Riesentumult auf der Straße. Sie wohnte in der Residenz des Botschafters. Sie ging ans Fenster und sah eine immer größer werdende Menschenmenge vor dem Portal.
Was war geschehen?
Nanette schaltete das Radio an. Sie konnte perfekt Portugiesisch.
»Das französische Konsulat hat die schreckliche Nachricht bestätigt«, ertönte die Stimme des Sprechers.
»Senhor Gaston de Pontamadour, Presseattache der Botschaft, erklärte am Telefon, daß der unvergeßliche Sänger Julio, der ,Prinzgemahl’ der brasilianischen Königin, wie ihn die Zeitungen hier nannten, heute nacht an den Folgen seiner Verwundungen gestorben ist. Er wurde gegen zwei Uhr früh im Flamengopark von einem Unbekannten überfallen und so schwer verletzt, daß er unmittelbar darauf starb. Sein Leibwächter Auguste Pichenet konnte nicht eingreifen. Julio wurde unverzüglich in die französische Botschaft gebracht und wird so bald wie möglich in seine Heimat geflogen…«
Nanette fühlte sich wie benommen. Julio tot? Sie stürzte ins Bad. Dann rannte sie im Morgenmantel hinunter. Wo war Julio? Sicher in dem länglichen Salon. Ohne Julio wollte sie nicht leben! Aber sie mußte ihn noch einmal sehen. Nur ein einziges Mal.
Auf einem großen Intarsientisch stand der Mahagonisarg. Verzweifelt versuchte sie den Deckel wegzuschieben. Er war zugeschraubt. Nanette war eine erfindungsreiche Person. In einer Tasche ihres Morgenmantels fand sie eine Nagelfeile, die sie als Schraubenzieher benützte.
Mit aller Kraft schob sie den Deckel beiseite.
Die Schreckensbotschaft
Gegen sieben Uhr morgens wurde Ray durch ein Geräusch auf der Treppe wach. Er sprang auf und steckte seine Kamera unter den Arm.
»Guten Morgen, Otávio. Haben Sie vielleicht Sorgen? Macht dem Senhor irgend etwas Kummer? Die Leber? Oder vielleicht sein Gewissen?«
»Sieh mich nicht so eigenartig an, Raimundo!« bellte Otávio. »Willst du ein Bild von mir machen?«
»Nein!« Ray schüttelte den Kopf. »Stell dir vor, ich habe schon eins gemacht! Genau wie ich es wollte. Willst du mich nicht hereinbitten?« Otávio öffnete wortlos die Tür und ging Raimundo voraus ins Wohnzimmer; er konnte sich sehr gut verteidigen, wenn er angegriffen würde!
Otávio spürte den vertrauten Druck der Walther, deren Magazin er bereits ausgewechselt hatte, unter seiner Achsel.
»Nun«, Ray sah den Gegner scharf an, »ich mache es kurz. Du hast eine gewisse Fotokopie, die durch Betrug in deine Hände geraten ist, und die Richter de Caravelas betrifft. Ich möchte sie haben!« Raimundo streckte auffordernd seine Hand aus!
»Raimundo, du armer Irrer, du bist noch dümmer als ich dachte. Warum sollte ich dir einen meiner größten Schätze übergeben?«
»Otávio, du Dummkopf, du bist noch dümmer, als ich es mir vorgestellt habe. Wenn du mir innerhalb von dreißig Sekunden die Fotokopie nicht gibst, renne ich auf das nächste Polizeirevier und erzähle ihnen, wo du um halb zwei Uhr heute nacht warst und was du dort gemacht hast.«
»Um halb zwei Uhr früh? War ich bei meinem Freund, Kommissar Gustavo Abreu und habe bei ihm übernachtet. Er ist bereit zu bezeugen, daß ich die Wohnung von halb ein Uhr nachts bis morgens um sechs nicht verlassen habe«, erklärte Otávio mit spöttischem Blick.
»Dann hast also nicht du den französischen Sänger ermordet?«
»Wie hätte ich? Ich habe die ganze Nacht über Politik gesprochen und Bier getrunken. Ich hatte doch recht, wenn ich dich für einen Narren hielt, Raimundo!«
»Vielleicht«, erwiderte Ray. »Aber weißt du, wenn man ein geborener Narr ist, lernt man früh! Die Aussage deines Kommissar Abreu gilt natürlich mehr als die meine, das ist klar! Aber hier ist ein kleiner Senhor, dessen Aussage noch mehr wert ist als die von Abreu.«
Er deutete auf die Polaroidkamera. »Was meinst du damit?« Otávio runzelte die Stirn.
»Ich meine, daß du sehr fotogen
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