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14 - Geheimagent Lennet und der Scheintote

14 - Geheimagent Lennet und der Scheintote

Titel: 14 - Geheimagent Lennet und der Scheintote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Volkoff
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Gesicht und entspannten Zügen auf einem blauen Seidenkissen, die Hände über der Brust gefaltet. Sein Körper lag in einem Meer von Blumen, so daß seine Wunden nicht zu sehen waren, und er atmete nicht. Niemand durfte den Toten anrühren.
    Der Vorbeimarsch der Trauernden dauerte den ganzen Tag über an. Am Abend wollte der Botschafter die Tore schließen, doch nach Büroschluß kamen immer noch neue Fans und standen Schlange vor der Botschaft.
    Julio schlief lang nach dieser anstrengenden Nacht. Als er erwachte, dauerte es eine Weile, bis er sich erinnerte, wo er sich befand. Er wollte hinausgehen, doch die Tür war verschlossen. Er klopfte. Sie öffnete sich, und Lennet stand vor ihm.
    »Gut geschlafen, Julio? Dein Frühstück wartet auf dich. Ananassaft, Kaffee, Toast. Wie geht es dir?«
    »Es geht. Kann ich nachher gehen?« 
    »Tut mir leid, mein Lieber. Noch nicht. Dein Vorzimmer wird von zwei Wachsoldaten bewacht, denen ich nur schwer klarmachen konnte, daß ich dich nicht schon umgebracht habe, daß sie es aber tun sollten, wenn du einen Fluchtversuch unternimmst. Ich mache natürlich einen Scherz, aber du mußt verstehen, daß man dich sofort erkennen würde. Du hast deine Gitarre, einen Stapel Illustrierte, die voll von dir sind, was brauchst du mehr? Außerdem kannst du fernsehen, wie ein richtiger Staatsgefangener, und ich komme zum Essen, um dich etwas aufzuheitern.«
    Julio wurde es in den ersten Stunden seiner Gefangenschaft nicht langweilig. Zum Essen kam Lennet und erklärte ihm den Trick mit der Wachsstatue.
    »Ich hoffe nur, Ray macht mir eine neue, wenn sie beschädigt ist«, sagte Julio. Als Lennet gegangen war, um nach den vier Mädchen zu sehen, sah sich der Sänger kurz seine eigene Totenwache an im Fernsehen. 
    Die Vorbereitungen zu seiner eigenen Beerdigung gefielen ihm recht gut. Dieses Meer von Blumen, die Schluchzer, die weinenden Mädchen, all das bewegte ihn.
    Als er sein eigenes Gesicht sah, konnte er seine Tränen nicht mehr zurückhalten. 
    Als ihm einfiel, daß er gar nicht tot war, trocknete er seine Tränen, und plötzlich kam ihm ein Gedanke. Die jungen Leute zeigten aufrichtige Trauer, aber in ein paar Wochen würden sie einem anderen Idol zujubeln und hätten den ermordeten Sänger vergessen. Aber es gab eine Person, der bei der Nachricht vom Tod Julios das Herz brechen würde – seine Jugendfreundin. 
    Julio stürzte an die Tür. Eine der Wachen öffnete.
    »Ich möchte telefonieren.«
    »Verboten.«
    »Hundert Francs, wenn ich darf.« Der andere wollte die Tür wieder zumachen.
    »Einen Augenblick«, sagte Julio. »Ich will es Ihnen erklären. Ich habe eine Freundin. Sie heißt Gina. Sie ist sehr schön, und ich liebe sie sehr. Sie liebt mich auch. Sie hat keine Ahnung, daß ich nicht wirklich tot bin. Die Drahtzieher haben ihr nichts gesagt, aus Furcht, sie könnte etwas verraten. Aber Gina verrät nichts. Das weiß ich genau! Sie wird niemand etwas erzählen. Wenn sie nun die Bilder über Satellit auf dem Fernseher sieht, wird sie es nicht glauben. Sie müssen doch auch irgendwelche Freunde oder Mädchen haben. Würden Sie nicht auch gern telefonieren, wenn Sie an meiner Stelle wären?« Die Wachsoldaten wagten nicht, sich anzuschauen.
    »Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist«, sagte der erste.
    »Ich sehe nichts mehr, ich höre nichts mehr…«
    »Komisch, mir geht es genauso«, sagte der zweite.
    »Vielleicht waren die Sardinen nicht mehr frisch.«
    »Hoffentlich geht das bald vorbei«, sagte der erste wieder.
    »In zwei Minuten spätestens…«, beruhigte ihn der andere. Beide sackten in ihren Sesseln zusammen; das Telefon stand zwischen ihnen auf dem Tisch.

Abgeblitzt…
    Raimundo Montenegro war ein hartnäckiger Bursche. Jetzt, da der Tod, das heißt die Ermordung Julios unbestreitbar war, ließ er sich nicht mehr so leicht von Otávio abfertigen wie vorher, als er von der Entdeckung der jungen Botschaftsangehörigen am Radio gehört hatte.
    Sie war in die Klinik transportiert worden. Keine Zeitung und kein Sender hatte irgendwelche Zweifel an der Echtheit der Ermordung von Julio. Deshalb klingelte Ray noch einmal an der kupferbeschlagenen Tür seines Rivalen.
    Otávio Pafva trug eine leuchtendrote Hausjacke und hatte einen sarkastischen Gesichtsausdruck.
    »Da bist du ja schon wieder, du Hungerleider von einem Bildhauer!« rief er, als er die Tür öffnete.
    »Schon wieder, ja, du wurmstichiger Finanzier«, erwiderte Ray liebenswürdig.

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