1408 - Ein Tropfen Ewigkeit
regelmäßigen Abständen eingeschaltet und Hilferufe ausgesandt."
„Dann verstehe ich nicht, warum nicht schon eher ein Raumschiff auf euch aufmerksam wurde", sagte Tiff-Lor. „Irgend jemand hätte doch in all den Jahrhunderten eure Hyperfunksendungen aufschnappen müssen. Eigentlich seltsam, wir haben auf Hyperfrequenz auch nichts empfangen ..."
„Ihr habt auf meinen Anruf sofort reagiert", erwiderte Illu.
Tiff-Lor sah sie seltsam an. „Wir haben nur auf Normalfrequenz empfangen..." Er unterbrach sich und wechselte mit seinen Begleitern einen Blick. Nia-Gris sagte: Ich schätze, es gibt in diesem Teil der NARGA SANT gar keinen Hypersender."
„Natürlich nicht", sagte Illu, ohne zu wissen, was Nia-Gris meinte, aber das Wort war ihr sowieso nicht geläufig, so daß sie nichts Falsches sagen konnte. Sie fuhr fort: „Bevor ihr uns von hier fortbringt, bitte ich euch noch um einen Gefallen. Wir mußten uns, um überleben zu können, eigene Gesetze machen. Die meisten hielten sich auch daran. Aber, wie überall, gibt es auch in unserer Gesellschaft Außenseiter. Über einige solcher muß ich richten. Gebt ihr mir die Ehre, mir bei der Urteilsfindung zu helfen?"
„Das ist tatsächlich eine Ehre für uns, aber...", begann Tiff-Lor, den Rest konnte Illu nicht verstehen. „Es handelt sich um ein ganz gemeines Komplott", sagte Illu hart. „Anrina war ebenfalls darin verwickelt. Sie habe ich bereits gerichtet. Jetzt muß ich über ihre Komplizen richten. Bitte helft mir bei der Urteilsfindung."
Tiff-Lor antwortete darauf ausführlich, aber was er sagte, das gefiel der Allermutter so wenig, daß sie sich einfach weigerte, es zu hören. „Seid ihr bereit?" fragte sie. „Gut, dann werde ich die Gefangenen vorführen lassen."
*
„Das ist eine Verrückte", stellte Fellmer Lloyd fest. „Ich traue mich nicht einmal, ihre Gedanken zu lesen, um nicht selbst den Verstand zu verlieren. Sie weigert sich einfach anzuerkennen, daß wir keine Kartanin sind."
„Ruhig Blut, Fellmer", sagte Tifflor. „Laß die Dinge sich entwickeln. Es werden schon nicht alle so verrückt sein."
Die klapprigen Roboter brachten vier zerlumpt wirkende Kartanin und einen kleinen, sargähnlichen Schrein mit transparentem Deckel herein. Darin lag ein Kartanin-Baby, das völlig haarlos war. Nia beugte sich, von Mitleid übermannt, darüber, wurde aber von einem Roboter zurückgewiesen. „Achtet auf den Albino!" warnte Fellmer Lloyd in Interkosmo. „Er besitzt parapsychische Fähigkeiten und kapselt sich vor mir ab."
Der „Albino" war ein weißhäutiger Kartanin mit übergroßen, dunklen Augen, der bis auf einen schmalen Fellstreifen auf dem Kopf völlig haarlos war. Illu nannte ihn Vuin. Die drei anderen hießen Monka, Crude und Nim; letztere war eine Frau mit straffen, jugendlich wirkenden Brüsten, zu denen das faltige Gesicht jedoch in krassem Gegensatz stand.
Einer der Roboter verlas mit rasselnder Stimme die Anklage. Es ging nicht nur darum, daß die vier das illegitime Baby, das keine Existenzberechtigung besaß, aus der Todeskammer entführt hatten und so der ihm zugedachten Bestimmung entzogen, sondern vor allem darum, daß dieses Kind von der toten Anrina stammte, die es nur zur Welt gebracht hatte, um Illus, die Position der Allermutter überhaupt, zu erschüttern.
Das Kind war zudem auch noch männlichen Geschlechts, was den Tatbestand des Hochverrats noch verstärkte.
Denn ein männlicher Nachfolger einer Allermutter hätte das matriarchalische System in den Grundfesten erschüttert. „Ich bitte unsere Retter, mir bei der Urteilsvollstreckung behilflich zu sein", sagte Illu. „Es ist euer Vorrecht, die Todesart zu bestimmen..." Illu brach plötzlich ab, stützte sich an einem Pflanzentrog ab, als befalle sie ein Schwindel. „Dieser Vuin ist ein Suggestor", sagte Lloyd in Interkosmo. „Jetzt habe ich seine Absicht durchschaut. Er hat sich mit den anderen freiwillig in Gefangenschaft begeben, um die Allermutter in ihrem Sinn zu beeinflussen und sie dazu zu zwingen, offiziell ihren Rücktritt bekanntzugeben."
„An uns wird sich Vuin die Zähne ausbeißen", sagte Tifflor mit der Sicherheit des Mentalstabilisierten. Und er beschloß: „Wir halten uns aus dem Machtkampf heraus."
„Aber wir dürfen nicht zulassen, daß das Kleine getötet wird", sagte Nia.
Die Allermutter schien sich wieder gefaßt zu haben. Sie ballte die Hände zu Fäusten und brach dabei drei ihrer falschen Krallen ab. Offenbar unter dem
Weitere Kostenlose Bücher