1422 - Die Tage der Cantaro
ihren Vater hielt, der so gerne über die Gefahr von Zeitparadoxa referierte. „Nein, du würdest nie auf die Wahrheit kommen", sagte er, und sein verschmitztes Lächeln vertiefte sich. „Ich habe einen Körper, bin reiner Geist, der wie der Wind den Berg Terrania umweht. Ich bin ein Ungeborener, der darauf wartet, daß für ihn ein Körper frei wird, mit dem er in die Welt treten kann. Aber das wird erst in über sechshundert Jahren der Fall sein. Solange muß ich warten, bis die Reihe an mir ist. Aber ich kann auch jemand anders sein, wenn du möchtest, Ewige Mutter."
„Ja, das möchte ich", sagte Eirene. „Wer könntest du noch sein?"
Covars Gesicht wandelte sich. Zuerst fiel es in sich zusammen wie Wachs im Feuer, schmolz förmlich, dann bekam es einen völlig veränderten Ausdruck. Covar blickte sich verstohlen um, dann beugte er sich zu ihr nach vorne, winkte sie näher zu sich, bis seine Lippen fast ihr Ohr berührten. „Wir müssen vorsichtig sein, Eirene", flüsterte er ihr zu. „Niemand darf erfahren, daß wir aus der Zukunft kommen. Wir müssen alles leugnen. Kein Wort über den Wall um die Milchstraße. Wir waren nie in Magellan oder bei der demontierten BASIS. Covar, dieser Barbar, muß als Kind dieser Zeit vorgestellt werden. Alles klar? Hast du das behalten, Eirene?" Er ließ sich zurückfallen und begann zu kichern. „So können wir sie überlisten, Eirene. Nur so. Kein Sterbenswort."
„In Ordnung, Covar", sagte sie unbehaglich. „Wie meinen?"
„In Ordnung, Perry", berichtigte sie sich, denn nun war es offenbar, daß Covar in die Haut ihres Vaters geschlüpft war. „Aber ich bitte dich, sei jemand anders."
Er hob fragend eine Augenbraue. „Wer soll ich sein? Welche Maske wäre denn passend?"
„Ich wüßte jemanden, dessen Maske dir gut stünde."
„Nur zu, sage mir die Rolle, und ich spiele sie."
„Sei ein junger Mann von der Sturmwelt Bugaklis. Covar Inguard heißt er und gehört dem Stamm der Erdenkinder an. Er fürchtet weder die ärgsten Stürme, noch die Mördermajestäten. Sei dieser Junge, in einer Zeit, in der er gerade zum Mann wird. Du kannst es."
„Aber die Zeit läßt sich nicht betrügen, und ...", er machte eine Geste, die den Therapieraum umschloß, „...und dieser Covar von Bugaklis läßt sich nicht täuschen. Wie soll er hier fliegen, wie soll er atmen, die Winde sein Gesicht umfächeln lassen ..."
„Du kannst es, horche in dich hinein", sagte Eirene eindringlich. „Schließe die Augen und laß sein Ich auf dich einwirken.
Du wirst schweben, leicht wie ein Drachenflügel sein, und du kannst fliegen."
Sie legte ihm die Hände sanft auf die Augen und drückte ihm die Lider zu. Dann zog sie sich zurück und rief durch die Luke: „Wir brauchen Schwerelosigkeit, Elfrom."
*
Eirene blieb drei Tage an Bord der ELYSIAN und widmete sich die meiste Zeit ihrem Schützling. Manchmal gesellte sich auch Beodu zu ihnen. Aber der Attavenno vertraute Eirene an, daß er sich lieber in seiner Kabine aufhalte und sich schlafend - und träumend - stelle. Er fürchtete sich vor dem Ära, davor, daß er seine Träume >analysieren< und als Schwindel aufdecken könnte.
Dabei erfand er gar keine neuen Träume, sondern wiederholte nur solche, die er früher wirklich gehabt hatte; er veränderte sie bloß ein wenig. Obwohl Eirene ihm versicherte, daß weder der Ära noch dessen Diagnosegeräte seinen Schwindel aufdecken konnten, hatte Beodu Angst, Perry, seinen Waqian, zu enttäuschen, indem er unbeabsichtigt irgend etwas von dem Geheimnis ausplauderte.
Noch am ersten Tag ihrer Kreuzfahrt durch das Tah-System, meldete Elfrom, daß Eirenes Freunde Tahun mit einem Raumschiff verlassen hatten. Der Ära nannte den Namen des Raumschiffs nicht, und Eirene erkundigte sich nicht danach.
Es lag nur eine kurze Nachricht für sie vor. Sie lautete: Wir vergessen euch nicht. Kommen bald zurück. Geoffry hat uns zu einem kleinen Raumflug eingeladen. Alles Gute euch dreien. P.
Eirene war irgendwie erleichtert, daß sie Geoffry nicht mehr gegenübertreten mußte und darum nicht mehr in Versuchung geführt werden konnte.
Andererseits nagten in ihr Gewissensbisse. War es recht, einen Freund in den sicheren Tod gehen zu lassen, ohne ihm die Chance zu geben, sein Schicksal ändern zu können? Geoffry hatte zwar noch über 650 Jahre vor sich - aber dann würde seine Stunde schlagen ... wenn er nicht Vorsorge treffen konnte. Sie hatte geglaubt, vor diesem Problem fliehen zu können, indem
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