1429 - Totenkopf-Ballade
blieben fest geschlossen. Die Frau schien überhaupt keine Luft holen zu müssen.
Die Fremde, die Anita an eine Hexe aus einem Märchen erinnerte, blieb am unteren Wannenrand stehen und wartete einfach nur ab.
Sie tat nichts. Der starre Blick glitt über die Längsseite der Wanne hinweg und bohrte sich dann in die Augen der blonden Frau.
Anita sah ihre Felle wegschwimmen, obwohl nichts Dramatisches passiert war. Nur wunderte sie sich über ihre Untätigkeit. Sie hatte sich immer für eine sehr taffe Person gehalten. Für jemanden, der sich durchs Leben beißen konnte.
Jetzt war das alles wie weggewischt. Sie war nicht mehr taff. Sie glich einer Frau, die mit den Realitäten ihre Probleme hatte.
»Was wollen Sie?«
Die fremde Besucherin schien die Frage verstanden zu haben, denn ihre Lippen zuckten.
Leider gab sie keine Antwort.
»Verdammt, so reden Sie doch! Oder sind Sie stumm?« Beinahe schon verzweifelt schaute Anita der Besucherin ins Gesicht, aber die sprach kein einziges Wort.
Und doch bleib sie nicht tatenlos.
Beide Hände zugleich bewegte sie und natürlich auch die Arme.
Sie wurden angewinkelt, sodass die Hände über den Taschen schwebten, die innen ausgebeult waren, weil sie einen Inhalt hatten, von dem Anita bisher nichts gesehen hatte.
Mit der rechten Hand griff die Unbekannte in eine der Taschen.
Dabei bewegte sich der Stoff, aber es war noch nicht zu sehen, was die hexenhafte Person hervorholte.
Wenig später sah Anita es.
Zwischen Daumen und Zeigefinger hatte sie einen Minischädel eingeklemmt.
Anita konnte es nicht fassen. Eigentlich hätte bei ihr die Angst groß sein müssen, aber es überwog die Neugierde auf das, was nun passierte. Die Fremde würde den kleinen Schädel bestimmt nicht in die Tasche zurückstecken. Dann hätte sie das Ding gar nicht erst hervorzuholen brauchen.
So war es auch.
Ein kurzer Schwung, ein leichter Wurf, und der kleine Schädel klatschte ins Wasser.
Anita riss die Augen auf. Er war dort hingefallen, wo sich ihre Knie befanden. Für einen Moment dachte sie daran, dass er zu Boden sinken würde, was aber nicht eintrat, denn er blieb auf der Oberfläche schwimmen.
»Was ist…«
Anita schaute hin. Wenig später hob sie den Blick wieder an, weil sich die Unbekannte bewegt hatte. Es war ihr nicht aufgefallen, dass sie einen zweiten kleinen Schädel aus der Tasche geholt hatte, aber dem war wirklich so. Sie warf auch ihn ins Wasser. Ein paar Tropfen spitzten hoch, dann schaukelte der Totenkopf auf der Oberfläche.
Auch er versank nicht.
Anita konnte nichts dafür, dass sich aus ihrem Mund ein Stöhnen löste. Mit stierem Blick glotzte sie auf diesen makabren Schädel, doch die fremde Person war noch nicht am Ende. Sie holte weitere Totenköpfe aus ihren Taschen und warf sie in die Wanne.
Anita Koller wagte nicht, aufzustehen und die Wanne zu verlassen. Sie hatte nur instinktiv reagiert und die Beine angewinkelt, denn weiter zurückziehen konnte sie sich nicht.
Vier Schädel.
Keiner unterschied sich vom anderen. Alle waren sie gleich groß.
Alle sahen sie gleich aus, und die Unperson holte noch weitere aus ihren Taschen und warf sie ebenfalls in die Wanne.
Plötzlich waren es sieben!
Das blieben sie auch. Sie lagen auf der Oberfläche, aber sie bildeten keinen Pulk und verteilten sich. Als hätten sie einen Befehl erhalten, so nutzten sie die gesamte Länge und auch die Breite der Wanne, um ihre Plätze einzunehmen.
Anita Koller war bisher von keinem dieser Totenköpfe berührt worden. Und sie wollte auch nicht, dass dies passierte. Deshalb hütete sie sich davor, irgendwelche Wellen zu verursachen. Auf ihnen hätten die makabren Grüße bis zu ihr schwimmen können. In der verkrampften Haltung und mit angezogenen Beinen blieb sie im Wasser hocken, wobei sie noch den Atem anhielt.
Lange würde sie das nicht mehr aushalten können. Es musste etwas passieren, das stand für sie fest. Niemand erschien, warf irgendwelche kleine Totenköpfe in eine mit Wasser gefüllte Wanne und sah damit seine Aufgabe als erledigt an.
Und doch schien dies so zu sein, denn es passierte nichts weiter.
Die Frau stand am Fußende der Wanne. Sie hatte nicht gesprochen, die Lippen blieben geschlossen, aber sie hielt den Blick gesenkt und schaute auf das Wasser.
Die blonde Frau blieb mit ihrer Angst allein. Aber sie schaffte es, ein Zittern zu unterdrücken.
Dann drehte sich die Besucherin um. Sie tat es sehr langsam und mit einem langen Blick des Abschieds. Sie wandte
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