1437 - Der weibliche Tod
Er hob den rechten Zeigefinger.
»Sie kommt an das Totenbett eines Menschen und macht ihm klar, dass sie es ist, die ihn abholen wird.«
»Sehr gut«, sagte ich.
»Warum?«
»Weil es ein Hinweis ist, denke ich. Man könnte Rusalka unter Umständen dort erwischen.«
Der Pope schaute mich an. In seinen dunklen Augen glitzerte es, als liefe Wasser durch die Pupillen.
»Du bist gut, John, wirklich. Du hast wunderbar mit- und auch nachgedacht.«
Ich hob nur die Schultern. »Sieht denn so dein Plan aus?«, fragte ich leise.
»Ja, das ist der Fall.«
»Und wohin wird dich dein Weg führen?«
Er lächelte weiter und meinte dann: »Ich kann es dir noch nicht sagen. Ich bin noch nicht lange genug hier in London. Ich muss mich erst zurechtfinden und Informationen sammeln. Wenn ich die habe, kann ich weitersehen. So denke ich.«
»Oder wir«, sagte Glenda.
Konstantin stutzte. »Meinst du?«
»Es ist auch ein Job für uns«, erklärte sie, was ganz in meinem Sinne war.
»Tatsächlich?« Konstantin sah nicht begeistert aus. »Eigentlich bin ich gekommen, um mich allein um Rusalka zu kümmern.«
»Was willst du denn von ihr?«, fragte ich. »Du musst doch einen Plan haben.«
»Den habe ich auch.«
»Und?«
Er hob die Schultern. Mit einem Schluck trank er dann sein Glas leer. »Ich weiß auch nicht, weshalb ich euch vertraue. Das habe ich eigentlich nie getan, aber es ist nun mal so gekommen. Ich und auch andere Menschen denken, dass wir versuchen sollten, Rusalka zu stoppen. Sie ist nicht gut, denke ich.«
»Was heißt das?«
»Es kann sein, dass sie Menschen zu früh ins Jenseits holt. Dass sie noch hätten leben können. Aber das weiß ich nicht genau. Es kann auch Spekulation sein. Das möchte ich herausfinden. Deshalb bin ich hier.«
Ob das alles so zutraf, konnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Es war möglich. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, hätte ich auch nicht alle Karten auf den Tisch gelegt.
Glenda Perkins beschäftigte sich auch weiterhin mit dem Problem.
Sie trank den Rest ihres Bierglases aus und fragte dann: »Gibt es eine Beschreibung von Rusalka?«
Der Pope überlegte und kratzte sich dabei am Ohr. »Keine direkte«, gab er zu. »Ich muss mich da schon auf alte Überlieferungen verlassen.«
»Und was sagen die?«
»Rusalka ist eine Frau. Die Engel werden ja in der Regel als geschlechtsneutral beschrieben. Das trifft bei ihr nicht zu. Man muss sie als weibliche Person ansehen. Und wenn sie erscheint, dann trägt sie keine Kleidung, dann ist sie nackt. So sitzt sie dann am Totenbett.«
»Ist das alles?«
»Warum fragst du?«
Glenda lachte. »Ganz einfach. Du hast mir Rusalka als Menschen beschrieben. Als eine Frau. Aber gibt es denn nichts Typisches an ihr, das auf einen Engel hinweist?«
»Du hast es erfasst.«
»Also doch.«
Konstantin nickte. »Der Beschreibung nach soll sie Flügel haben, damit man sie auch als Engel erkennt. Die meisten dieser Geschöpfe haben ja keine Flügel. Die haben ihnen die Menschen mehr angedichtet. Aber hier ist es so.«
»Wunderbar«, sagte Glenda, »dann können wir ja…«
»Nicht so schnell«, unterbrach der Pope sie. »Diese Flügel sollen etwas Besonderes sein. Sie sind sehr dünn. Man kann sie auch als filigran bezeichnen.« Er suchte nach einem Vergleich. »Praktisch wie ein Drahtgeflecht. So lauten jedenfalls die Beschreibungen.« Er hob die Arme an und drehte uns seine Handflächen zu. »Mehr kann ich euch über Rusalka nicht sagen.«
Das war schon recht viel, aber trotzdem zu wenig. Ich stellte die nächste Frage.
»Darf ich noch mal nach deinen Plänen fragen, Konstantin?«
»Natürlich. Ich warte so lange, bis jemand aus dem Kreis meiner Landsleute im Sterben liegt.«
»Gut. Oder auch nicht für ihn. Ist es denn bereits so weit? Liegt jemand im Sterben?«
Eine klare Antwort erhielt ich nicht. Dafür hörte ich den Satz: »Es besteht Hoffnung.«
Ich runzelte die Stirn, weil ich ihn in diesem Fall schon ein wenig despektierlich fand.
»Bei wem?«
Der Pope hob die Schultern. »Ich darf eigentlich nichts sagen, weil ich von der Botschaft direkt eingeladen wurde. Ich sagte schon, dass Rusalka gesehen worden ist. Dieser Zeuge war ein Angehöriger der Botschaft, und deshalb musste der Botschafter reagieren.«
Ich beugte mich zu ihm hin. »Gibst du uns dann Bescheid?«
Er nickte, aber die Antwort stellte uns nicht so zufrieden.
»Wenn es sein muss, schon.«
Glenda und ich merkten, dass dieser Satz so etwas wie ein Abschied war. Es
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