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1437 - Der weibliche Tod

1437 - Der weibliche Tod

Titel: 1437 - Der weibliche Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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hatte die Angewohnheit, die Plätze und Verstecke zuvor auszukundschaften. Er war sicherlich ein paar Mal vorher auf dem Totenacker gewesen, doch bei diesen Besuchen schien er die seltsame Frau mit den Flügeln nicht gesehen zu haben.
    Dora Young hatte immer gedacht, dass es nachts auf einem Friedhof besonders still war. Jetzt musste sie zugeben, dass sie sich geirrt hatte. Auf dem Gelände war es nicht still. Es war ein ständiges Rascheln und Zischen zu hören. Irgendwelche Tiere sah sie nicht. Sie ging einfach davon aus, dass es Wühlmäuse waren, die sich auf diese Art und Weise bemerkbar machten.
    Allein war sie nicht. Überall standen die steinernen und stummen Wächter der Toten, die in der Dunkelheit ihre Normalität verloren hatten und befremdend aussahen.
    Da schienen sich die Haltungen zu verschieben, da zeigten die Gesichter einen anderen Ausdruck. Die Engel, die in verschiedenen Positionen manches Grab bewachten, kamen ihr mal leidend und Hilfe suchend vor, wenn sie ihr die Hände entgegenstreckten. Auf der anderen Seite erlebte sie die Figuren aufrecht stehend und sprungbereit. Als wollten sie jeden Augenblick starten und ihr an die Kehle gehen.
    Es passierte nichts. Sie ging durch die Nacht und zuckte nur einmal zusammen, als sie in der Nähe ein Flattergeräusch hörte und dann einen Schatten sah, der durch die Luft segelte, bevor er blitzschnell zu Boden stieß, um sich dort eine Beute zu holen.
    Mäuse hatten gegen die Vögel der Nacht keine Chance. Da waren die Eulen und Käuze schneller.
    Alle Engel waren und blieben starr, auch wenn die Finsternis sie manchmal verzerrte. Da leuchteten keine Augen auf, da war kein Knirschen oder Brechen zu hören und auch kein weicher Singsang oder ein bestimmtes Aroma. Beides schrieb man ja den Engeln zu.
    Doras Weg führte weiter in die eine bestimmte Richtung. Sie war davon überzeugt, dass sie genau das Richtige tat, auch wenn sie die geheimnisvolle Person noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Sie blieb zudem auf einem bestimmten Weg, der früher mal mit Steinen bestreut gewesen war. Jetzt lagen sie zwar auch noch dort, aber das Gras war so hoch gewachsen, dass es die Steine bedeckte und so den Klang der Schritte stark dämpfte.
    Da ein Hochdruckgebiet das Land mit einem goldenen Oktober verwöhnte, war der Himmel bereits seit Tagen wolkenlos. Sterne malten sich am unendlichen Rund ab. Jetzt, da der fast volle Mond aufgegangen war und sein blassgelbes Licht verstreute, war es auf dem Friedhof recht hell. Kein Dunst, die Gräber waren genau zu erkennen, und die junge Frau sah auch, dass sie der Weg zu einem bestimmten Platz führte.
    Es musste der alte Teil dieses Friedhofs sein. Nicht nur, dass sich das Buschwerk dort zusammendrängte, da waren auch mehrere Grüfte zu erkennen, die schon an kleine Häuser erinnerten.
    Dora hatte keine Vorstellung davon, wer dort begraben lag. Sie nahm diese Gegend nur als Richtpunkt. Wenn sie die Grüfte erreicht hatte und nichts von der seltsamen Frau mit den filigranen Flügeln auf dem Rücken zu sehen bekam, dann wollte sie wieder den Rückweg antreten.
    Bei dieser Vorstellung dachte sie an ihren Freund Sly. Sie war einfach verschwunden, ohne ihm etwas zu sagen, und das würde ihm bestimmt kaum gefallen.
    Der Weg endete.
    Für einige Momente war sie irritiert.
    Wohin nun?
    Sie schaute nach vorn, und dann setzte sie sich in Bewegung. Sie merkte erst spät, dass sie über Gräber lief, weil diese kaum als solche hervortraten. Da musste sie schon sehr genau hinschauen, um die alten, flachen Steine zu sehen, die von der Erde halb verschlungen waren.
    Vorsichtig umrundete sie die mit Pflanzenresten und Moos überwachsenen Andenken der Toten und erreichte ein Rasenstück, dessen Boden viel weicher war. Es endete dort, wo die Grüfte begannen.
    Sie standen in einer Reihe. Wie in einer Siedlung. Nur waren diese Totenhäuser nicht gleich groß. Es gab höhere und niedrigere. Manche waren breiter, andere wieder schmaler und länger.
    Wo steckte die geheimnisvolle Frau?
    Dora hätte darauf gewettet, sie hier zu finden. Das sagte ihr einfach das Gefühl.
    Noch drei kleine Schritte traute sie sich weiter. Als sie stehen blieb, sah sie die einzelnen Grabstätten besser. Manche von ihnen waren so gebaut, dass jemand hinein gehen konnte wie in ein kleines Haus.
    Genau drei Grabstätten waren offen. Sie waren mit einem Dach versehen, und dieses wurde von Säulen gestützt, sodass sie ein klassizistisches Aussehen hatten. Andere Grüfte

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