1439 - Totenfeld
hätte ich mir auch selbst sagen können.«
»Sie wurde ermordet«, sagte Jane.
Anna Bancroft erwiderte nichts. Ihr Gesicht war nur sehr starr geworden. Sie hielt sich für einen Moment krampfhaft an ihren Sessellehnen fest und nickte dann.
»Wir konnten ihr leider nicht helfen, denn wir kamen um einige Minuten zu spät.«
»Verstehe, Jane, verstehe. Sie wurde ermordet. Durch Menschenhand?«
»Nein.«
»Sondern?«
Jane schüttelte den Kopf. »Bitte, lassen wir dieses Thema.«
Das wollte Anna nicht. Sie überraschte uns mit der nächsten Frage.
»Waren es Dämonen? Waren es lebende Leichen oder etwas in dieser Richtung?«
»Ähm – bitte…?«
Anna Bancroft schüttelte den Kopf. »Jane Collins«, sagte sie, »ich bitte Sie. Halten Sie mich nicht für eine alte dumme Gans. Wirklich nicht. Sarah und ich hatten mehr Gemeinsamkeiten, als es vielleicht den Anschein gehabt hat.«
»Das auf keinen Fall, Anna. Ich wundere mich nur, mit welchen Begriffen Sie um sich werfen.«
»Es ist eine Folge davon, wenn man eine Frau wie Sarah Goldwyn zur Freundin hat.«
»Klar.«
»Ich glaube an diese andere Welt«, erklärte sie lächelnd. »Ich weiß, dass sie existiert. Die meisten Menschen negieren sie oder lehnen sie ab. Ich gehöre nicht dazu.«
»Ja, das weiß ich inzwischen. Aber ich möchte eines sagen und gebe es zu bedenken. Wir haben versucht, den Tod unserer Freundin Sarah zu überwinden. Wir wollen nicht mehr darüber sprechen, was passiert ist. Es ist letztendlich auch vorbei. Ihr Tod ist gerächt, kann man so sagen, und deshalb möchten wir die Vergangenheit ruhen lassen.«
»Das klappt aber nicht immer, Jane.«
»Ich weiß. Aber bitte, die Vergangenheit ist das eine, die Gegenwart das andere.«
»Und manchmal hängt beides miteinander zusammen. Ich denke, dass man es so sehen muss.«
»Ja, das kann durchaus sein. Dagegen will ich auch nichts sagen. Die Uhr ist ein Erbe, das ich gern annehme. Ich lebe ja in Sarahs Haus. Sie hat es mir überlassen. Für diese Uhr werde ich schon einen geeigneten Platz finden. Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.«
»Das hätte ich auch nie getan«, sagte Anna Bancroft. »Ich weiß ja, wie Sie zu Sarah standen und umgekehrt auch.« Sie lächelte wieder, aber mehr in sich hinein.
Ich hatte mich in den vergangenen Minuten zurückgehalten und auf mein Gefühl geachtet. Immer stärker hatte ich dabei das Empfinden, dass die Uhr nicht der einzige Grund war, weshalb wir hier saßen. Es musste noch einen weiteren geben. Zwar hatte ich nichts darüber gehört, aber manchmal war es mir vorgekommen, als wäre Anna Bancroft bei ihren Antworten mit den Gedanken ganz woanders gewesen – nämlich bei dem wahren Grund ihrer Einladung.
Jane Collins schenkte aus der Karaffe Saft nach, während die Hausherrin aufstand und zum Fenster schritt. Sie blieb davor stehen, drehte uns den Rücken zu und sah deshalb nicht, dass Jane und ich uns bestimmte Blicke zuwarfen, ohne dass wir ein Wort sagten.
Wir ahnten beide, dass noch etwas folgen würde.
»Der Nebel bleibt«, meldete sie sich, »und nicht nur das. Er verstärkt sich sogar.«
»Damit war zu rechnen«, sagte ich.
»Eine schlechte Voraussetzung, um zu fahren, John. Das denke ich mir. Ich würde es nicht tun.«
»Was hätten Sie denn getan?«
»Ich wäre hier geblieben…«
»Über Nacht?«
»Sicher.«
»Aha. Und deshalb meinen Sie, dass auch wir die Nacht hier in Hollow Field verbringen sollten?«
»Es wäre nicht die schlechteste Lösung.« Sie drehte sich wieder um. »Sie könnten etwas erleben, was es in der Großstadt nicht gibt.«
»Was denn?«, fragte Jane.
»Halloween.«
Wir schauten uns an. Das Lachen mussten wir uns verkneifen, denn wie oft hatten wir schon mit diesem Gruselfest zu tun gehabt.
Da bot uns Anna nichts Neues.
Das sagte ihr Jane auch, als sie sich wieder in ihren Sessel gesetzt hatte.
»Bitte, das glaube ich euch sofort. Anders wäre es auch verwunderlich gewesen. Aber ich denke mir, dass Halloween sehr wichtig ist. Hier kann man noch das echte erleben. Nicht diesen furchtbaren Kram, der da aus den Staaten wieder rübergeschwappt ist. Hier hat die Nacht noch etwas Mystisches. Hier kommt es dann zu einer Begegnung zwischen dem Diesseits und dem Jenseits!«
»Das haben Sie erlebt?«, fragte ich.
»Ja, schon öfter. Es weichen die Grenzen auf. Man spürt es, wenn man sensibel ist. Und hier im Ort ist Halloween nicht nur ein Spaßfaktor. Das muss ich Ihnen auch sagen. Hier werden Sie das
Weitere Kostenlose Bücher