1442 - Das Relikt
Gegenwart.«
»Ja, das stimmt.«
»Und als man Marcus Körner riet, mich einzuschalten, eben weil ich ein Zeuge gewesen bin, da schickte er mir das Bild. Ich schaute mir das Kreuz an und – und…« Ein schwerer Atemzug, dann brach die Stimme des Templers ab.
»He, Godwin, bist du noch da?«
Ich hörte seinen schweren Atem. »Ja, du brauchst keine Angst zu haben. Es war nur der Moment der Erinnerung, der mich übermannte. Ein kleiner Teil meines ersten Lebens kehrte zurück. Deshalb habe ich so reagiert. Die Erinnerung war plötzlich da. Alles stand wieder so plastisch vor meinen Augen…«
»Du kennst es!«, sagte ich.
»Ja.«
Für einen Moment wurde es still zwischen uns. Jetzt spürte auch ich den Schauer auf meinem Körper.
»Kannst du darüber sprechen?«, fragte ich leise.
»Ja, auch wenn es mir schwer fällt. Es war ein Erlebnis, das man einfach nicht vergessen kann.«
»Gut, ich habe Zeit.«
Die musste ich mir auch nehmen. Ich erfuhr eine Geschichte, die Godwin als junger Mensch erlebt hatte. Nachdem er das Grauen eines Schlachtfelds hinter sich gelassen hatte, hatte er diesen Schmied Lucien getroffen, der ihm etwas über das Kreuz berichtet hatte. Dieser Lucien hatte es geschmiedet, und er hatte den Auftrag vom Teufel erhalten. Genau nach seinen Vorstellungen war es angefertigt worden, wobei es sich nur durch den etwas höher sitzenden Querbalken von einem normalen Kreuz unterschied.
Ich war sprachlos geworden und flüsterte irgendwas vor mich hin, was keiner verstand.
»Das ist meine Geschichte, John.«
»Ja, ich habe sie gehört. Ich habe alles verstanden. Wir haben es mit einem Relikt aus der Vergangenheit zu tun.«
»Ja.«
»Dessen Weg du nicht kennst, nehme ich an.«
»So ist es, John. Ich habe das Kreuz gesehen, aber ich weiß nicht, was mit ihm passiert ist. Es ist mir im Laufe der Zeit nicht mehr begegnet. Ich habe es später auch vergessen. Bei meinem Kreuzzug habe ich es auch nicht mehr gesehen. Es ist im Dunkel der Geschichte verschwunden. Aber es existiert noch, und es wird noch immer unter dem Einfluss der Hölle stehen, kann ich mir denken.«
»Davon muss man ausgehen.« Ich sprach weiter, denn mir ging dieser Lucien nicht aus dem Kopf. Ich wollte wissen, ob Godwin den Schmied noch mal getroffen hatte.
»Nein, das nicht.«
»Und dir ist auch sein voller Name nicht bekannt?«
»Leider.«
»Sagt dir der Name Laurent Gabin etwas?«
»Danach hat mich Marcus Körner schon gefragt. Ich muss passen. Aber ich werde Nachforschungen anstellen, wer sich dahinter verborgen hat. Möglicherweise gibt es sogar eine Ahnenreihe, die wir verfolgen können. Er kann sich in Frankreich einen Namen gemacht haben.«
»Gabin war im diplomatischen Dienst tätig«, klärte ich ihn auf. »Er hat einige Jahre hier in England verbracht, und deshalb wird seine Sammlung auch in London angeboten. Das Kreuz ist übrigens etwas ganz Besonderes.«
»Das kannst du laut sagen.«
»So meine ich das nicht. Wir befinden uns ja mitten in der Ausstellung, und das Kreuz hängt als Einzelstück in einem Nebenraum. Marcus Körner ist sein Bewacher. Es scheint so zu sein, als sollte es nur bestimmten Personen zugänglich gemacht werden, was ganz natürlich ist, wenn man bedenkt, wie es geschaffen und manipuliert wurde. Mit diesem Kreuz hat die Hölle ein Zeichen gesetzt.«
»Davon gehe ich ebenfalls aus. Und dass es unbedingt etwas mit den Templern zu tun hat, stelle ich außerdem in Frage. So muss man es einfach sehen, obwohl ich nicht sicher bin.«
»Wir hier sind jedenfalls gewarnt, Godwin. Und ich werde das Kreuz nicht mehr aus den Augen lassen. Ich denke auch daran, dieses Relikt zu untersuchen. Du weißt, was in meinem Kreuz steckt. Ich bin gespannt, welche Kraft stärker ist. Aber das wird sich herausstellen.«
»Rufst du mich an?«
»Klar.«
»Danke, John.« Der Templerführer stöhnte auf. »Wenn ich daran denke, dass ich es schon in meinem Leben damals gesehen habe und welche Erinnerungen damit verbunden sind, wird mir ganz anders. Da habe ich als junger Mann von fünfzehn Jahren zum ersten Mal das Grauen dieser Welt so richtig erlebt.«
»Da hat wohl jeder von uns sein Bündel zu tragen. Auch ich erlebe immer wieder Überraschungen, wenn es um die Vergangenheit geht, die meine Familie betrifft.«
»Gut, John. Dann versuche ich, mehr über die Familie Gabin herauszufinden.«
»Tu das.«
»Alles Gute.«
Es war ein langes Gespräch gewesen. Ich reichte Marcus Körner das Telefon mit einem
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