1451 - Die Siragusa Formeln
hineinstürzen würde. Hier fehlte dieser Ring, weil Point Siragusa weit im Leerraum lag. Es gab zu wenig Materie, als daß eine solche Scheibe sich hätte bilden können. „Sind die Stationen noch da?"
Die Leiterin der Ortung begriff ihre Frage als Aufforderung. Drei rote Punkte erschienen in verschiedenen Umlaufbahnen.
Ursprünglich hatten um Point Siragusa acht Forschungsstationen der Kosmischen Hanse existiert, doch nun gab es nur noch drei davon. Sie trugen die Bezeichnungen SIRA III, IV und VII. Natürlich kam den Stationen keine Bedeutung mehr zu; Dao-Lin-H'ay hatte sich nur vergewissern wollen. „Und was nun?" frage Ge-Liang-P'uo.
Ja, dachte Dao-Lin, das war die große Frage. „Wir warten eine Zeitlang ab.
Einige der Gleichungen, die uns der große Unbekannte in der Siragusa-Datei hinterlassen hat, beziehen sich auch auf die Akkretionsscheibe. Ich will genau wissen, ob zumindest dieser Teil der Gleichungen zu hundert Prozent zutrifft. Dann fallen weitere Entscheidungen."
Von einem Sessel im Hintergrund erhob sich Nas-Kio-P'ing, der Wissenschaftler. „Ich rate davon ab, Dao-Lin. Das kann mehrere Wochen dauern, und zwar selbst mit den hochentwickelten Ortern der MARA-DHAO."
„Dann dauert es eben Wochen. Keine Diskussion."
*
Acht Tage nach Erreichen von Point Siragusa fing Nas-Kio sie auf dem Weg in ihre Kabine ab. „Ich muß dich sprechen, Dao-Lin", sagte der andere.
Sie sah ihn mißbilligend an. „Hat das nicht Zeit bis zur nächsten Konferenz? Ich werde anwesend sein..." Die ehemalige Wissende erkannte seinen Gesichtsausdruck und unterbrach sich. Fast gegen ihren Willen stieß sie ein belustigtes Fauchen aus. „Nein, du kannst nicht warten. Ich sehe ja, wie ungeduldig du bist."
Gemeinsam mit ihm suchte sie einen der kleinen Konferenzräume in der Nähe auf. „Nun, worum geht es?"
Nas-Kio entspannte sich. Endlich konnte er berichten, was ihm auf dem Herzen lag. „Wir haben einen Teil des Formelwerks ausgewertet", begann er. „Keine gültige Aussage über Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Berechnungen; alles, was vorliegt, sind ein paar Folgerungen."
„Nicht so spannend", bat Dao-Lin. „Heraus damit!"
Nas-Kio antwortete mit einer Gegenfrage. „Was weißt du über Schwarze Löcher?"
„Ich bin keine Astronomin, aber eine ganze Menge ist es schon. Ausgebrannte Sterne können unter dem Druck ihrer eigenen Schwerkraft regelrecht in sich zusammenfallen. Wird genügend Masse auf genügend engem Raum konzentriert, entsteht ein Schwarzes Loch. Die enorme Schwerkraft läßt nicht einmal Licht heraus.
Wenn ein Körper zu nahe an das Schwerkraftzentrum herangerät, wird er eingefangen und stürzt unter den Ereignishorizont. Das sind die Grundlagen."
„Und was ist unter dem Ereignishorizont?"
„Man kann es sich leicht denken. Ein ungeheurer Schwerkraftstrudel, der alles auf das eigentliche Zentrum hin beschleunigt. Dieses eigentliche Zentrum heißt Singularität. In der Singularität ballen sich die atomaren Bestandteile sämtlicher Materie, die ins Schwarze Loch hineingestürzt ist."
„Soweit die Theorie", bestätigte Nas-Kio-P'ing. „Aber die Formeln unseres Unbekannten sagen teilweise etwas anderes. Wären die Black Holes wirklich eine einzige Gefahrenzone, wäre niemand weiter daran interessiert. Also muß irgend etwas anders sein."
„Und was?" wollte Dao Lin ungehalten wissen. „Du weißt es schon!"
„Nein. Wir wissen nichts, wir ziehen nur Schlüsse aus dem Formelwerk.
Erstens: Der furchtbare Gravitationsstrudel unterhalb des Ereignishorizonts existiert nicht. Im Gegenteil, die Siragusa-Datei behauptet, daß man leicht manövrieren kann."
„Und zweitens?"
„Zweitens ist es nicht dunkel unterhalb des Ereignishorizonts. Womöglich finden wir einen abgetrennten Mikrokosmos vor, mit eigenen Gesetzen und unbekannter Ausdehnung. Jedenfalls müssen wir dafür sorgen, daß wir möglichst langsam hineinfallen. Hast du mir nicht von Icho Tolot erzählt? Er behauptet, er habe die Station nur für Bruchteile einer Sekunde gesehen. Wir müssen verhindern, daß es uns ebenso geht. - Du bist doch interessiert an der Station? Oder schätze ich die Lage falsch ein?"
Dao-Lin-H'ay ignorierte seine abschließenden Fragen. Statt dessen versuchte sie ein paar Sekunden lang, die Behauptungen des Wissenschaftlers zu verarbeiten. Es gelang nicht; ihre naturwissenschaftliche Bildung reichte nicht aus. „Wenn es soweit ist", sagte sie deshalb, „wirst du mir einiges erklären
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