1457 - Ediths Leichenwelt
als wäre es das Normalste auf der Welt: »Ich bin ein Ghoul. Ich ernähre mich von Leichen…«
»Bitte…?«
»Ja, von Toten. Das hat ein Ghoul nun mal so an sich.« Sie schaute auf Kats Messer. »Und mit dieser Klinge werde ich dich töten, um mich dann mit deinem Körper zu beschäftigen, wenn ich es mal vornehm ausdrücken soll.«
Kat sagte nichts. Aber sie glaubte noch immer daran, sich verhört zu haben. Sie kam sich vor wie in einen Albtraum, aus dem es kein normales Erwachen mehr gab.
Das war einfach nicht zu fassen. Der Begriff Kannibalismus jagte ihr durch den Kopf. Sie hatte davon gehört, gerade in der letzten Zeit, aber keiner dieser Menschen hatte sich als einen Ghoul bezeichnet.
Edith Jacum war ein solches Wesen, das aussah wie eine normale Frau und trotzdem nicht dazu gehörte.
Es war zu viel für die junge Frau mit den grünen Haaren. Sie wusste nicht, was sie noch denken sollte. In ihrem Kopf hatte sich eine Sperre aufgebaut, und sie war fast nicht mehr fähig, Luft zu holen. Alles war anders geworden.
Auch bei Edith veränderte sich etwas. Es hing nicht damit zusammen, dass sie das Messer hatte verschwinden lassen, es war ihr Äußeres, das sich verändert hatte, und darüber konnte Kat nur den Kopf schütteln, denn aus den Gesichtsporen lösten sich weiterhin die kleinen schleimigen Tropfen, die so eklig stanken.
Edith ließ Kat in Ruhe. Sie sollte das Gehörte verarbeiten, und als sie merkte, dass ihr Opfer versuchte, auf die Beine zu kommen, da lachte sie nur und schüttelte heftig den Kopf.
»Nein, nein, du brauchst gar nicht erst an Flucht zu denken. Du wirst es nicht schaffen. Ich bin besser als du. Ich bin immer besser gewesen als die anderen. Ich habe mir stets geholt, was ich wollte.«
»Leichen?«, hauchte Kat.
»Ja, aber nicht nur. Ich habe auch lebende Menschen in meine Falle laufen lassen und sie anschließend getötet. Das musste sein, denn ich brauchte Nahrung. Ich darf nicht austrocknen, meine Liebe. Und dich hat mir die Hölle geschickt. Ich hätte nicht gedacht, dass sich mein Wunsch so schnell erfüllen würde. Manchmal ist das Leben wirklich perfekt.«
Kat hatte es die Sprache verschlagen. Sie war nicht eben eine Klosterschülerin, das stand fest, und sie hatte einiges in ihrem Leben hinter sich gebracht, doch was man ihr hier gesagt hatte, das war für sie nicht zu glauben, und dass sie den Kopf schüttelte, geschah irgendwie automatisch.
»Du glaubst mir noch immer nicht?«
»Ich kann nicht!«
Edith beugte sich vor und grinste Kat ins Gesicht. »Willst du einen Beweis haben?«
»Ja, den will ich.«
»Dann gib genau Acht.«
Edith drehte sich um und ging auf die andere Seite des Ganges zu.
Sie war nicht leer wie die, an der Kat lehnte. Ihr waren die schmalen Schränke schon aufgefallen, deren Türen durch Riegel gesichert wurden.
Vor einer der Türen blieb Edith stehen.
Sie zog den Riegel zurück.
Die Tür schwang nicht von allein auf. Edith ging noch zur zweiten und schob auch hier den Riegel zur Seite.
Danach drehte sie sich zu Kat um. »Jetzt gib genau Acht, meine Liebe…«
Die Türen lagen nicht zu weit auseinander. Edith war in der Lage, sie zugleich zu öffnen.
Das tat sie auch.
Und dann passierte es.
Aus den beiden Schränken kippten zwei Leichen!
***
Kat saß an der Wand wie festgeklebt. Sie drehte den Kopf nicht zu Seite. Sie musste einfach nach vorn schauen, und als sie die kippenden Leichen sah, hatte sie das Gefühl, innerlich zu vereisen.
Das gab es nicht!
Das durfte nicht sein!
Das war ungeheuerlich!
Die Schmerzen in ihrem Kopf waren nicht mehr existent. Sie hätte am liebsten ihr Entsetzen hinausgeschrien, aber der noch immer in der Kehle sitzende Kloß verhinderte dies.
Allerdings begriff sie in diesem Moment auch, dass sie keinen bösen Film erlebte. Was hier ablief war eine Tatsache. Zwei Leichen waren sich leicht drehend aus den Schränken gekippt, schlugen auf und blieben auf der rechten Seite liegen.
Edith blieb bei den Spinden stehen. Sie fühlte sich als Queen. Die Arme hielt sie vor der Brust verschränkt. Die Lippen waren verzogen, der Blick kalt.
Etwas war mit den beiden Toten geschehen. Kat sah die Gesichter zwar nicht ganz, aber sie stellte schon fest, dass sie eingeschlagen waren und einen schlimmen Anblick boten.
»Na, was sagst du?«
Kat konnte keine Antwort geben. Es war der reine Schock, der sie erwischt hatte.
Edith streckte einen Arm vor, den sie dann senkte, um auf die beiden Leichname zu
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