1476 - Höllenbilder
nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte.
Als er sie erreichte, drückte er sie zurück auf den Stuhl.
»Ja, hier möchte ich dich haben.«
Er trat wieder zurück und bewegte seine Hände im Kreis.
»Hier bist du genau richtig, meine Liebe. Schau dich um. Du bist so etwas wie ein Mittelpunkt. Um dich herum verteilen sich die Staffeleien mit meinen Bildern. Vorhin hast du dir gewünscht, das eine oder andere Motiv zu sehen. Bitte, ich habe nichts dagegen. Ich werde sie dir gern präsentieren.«
Brian Nykill wusste sehr genau, wie er die Spannung erhöhen konnte. Er bewegte sich elegant wie ein Zauberkünstler, ging auf die erste Staffelei zu und zog dann das Tuch ab.
Wieder geschah dies mit einer wie einstudierten Bewegung. Das Tuch flatterte hoch und fiel dicht neben Jessica zu Boden.
Darauf achtete sie nicht. Sie sah nur das Bild. Die Wirkung des Rotweins war ihr in den Kopf gestiegen. Trotzdem war sie in der Lage, alles zu erkennen, und sie hatte das Gefühl, einen Schlag ins Gesicht zu bekommen.
Nie hätte sie mit einem derartigen Motiv gerechnet!
Sie sah ein springendes Pferd, was ja okay war, und es war auch sehr naturalistisch gemalt worden. Das störte sie nicht. Ihr ging es einzig und allein um den Reiter auf dem Pferderücken.
Das war kein Mensch.
Auf dem Rücken des Braunen saß ein von einem dunklen Umhang umhülltes Skelett!
***
Jemand schrie auf!
Erst wenig später merkte Jessica, dass sie es gewesen war, die geschrien hatte. Der Anblick, mit dem sie nicht gerechnet hatte, war ein Schock für sie gewesen, denn das gemalte Pferd befand sich in der Bewegung, und es sah aus, als wollte es jeden Augenblick aus dem Bild herausspringen, um den Betrachter zu überrennen.
Jessicas Mund stand offen. Sie vergaß sogar das Atmen. Aber sie spürte die kalten Schauer, die über ihren Körper liefen.
»Was hast du?«
»Das – das – Bild…«
»Na und?«
»Wie kann man so etwas malen?«
»Oh, das ist ganz einfach. Jeder Künstler hat seine Motive, die er besonders liebt.«
»Und das ist bei dir tatsächlich dieses Pferd?«
»Ja.«
»Aber der Reiter«, flüsterte sie. »Der – der ist doch nicht normal…«
»Da hast du recht. Aber gehört das Skelett nicht auch zu uns? Wie oft werden Gräber geöffnet? Und was findet man dort? Skelette. Was haben Archäologen und Urzeitforscher bei Ausgrabungen gefunden? Skelette. Sie haben uns viel über ihre Zeit erzählen können, obwohl sie nicht in der Lage waren, zu reden. Also gehören die Skelette zu unserem normalen Leben, finde ich persönlich.«
»Aber ich nicht.«
»Dafür kann ich nichts, wirklich nicht.«
Jessica nickte. »Malst du nur so etwas?«
»Nein, wo denkst du hin?«
»Was dann?«
»Willst du es sehen…?«
Sie überlegte. Eigentlich reichte ihr das eine Motiv, aber sie wollte sich den Maler nicht zum Feind machen. Künstler sind oft sehr sensibel und können es nicht leiden, wenn man sie ablehnt. Da sie keinen Streit oder Diskussionen haben wollte, nickte sie.
»Sehr schön. Ich werde dir die Bilder zeigen. Vielleicht nicht alle, aber es ist wirklich großartig, was ich da geschaffen habe. Darauf kannst du dich verlassen.«
»Jeder hat seine eigene Richtung.«
Nykill war vor einer weiteren Staffelei stehen geblieben. »Das hast du genau richtig erfasst, meine Schöne.«
Der Maler hielt einen Zipfel des Tuchs bereits fest. Es bedurfte nur eines kurzen Rucks, und es löste sich vom Bild. Wieder schwang es wie eine vom Wind abgerissene Fahne durch die Luft, bevor es zu Boden sank und liegen blieb.
Jessica Black schaute hin – und vergaß das Atmen.
Was sie da präsentiert bekam, war noch schlimmer als das erste Motiv. Ein Gemälde des Schreckens. Sie sah Gestalten, die eine Mischung aus Mensch und Monstrum darstellten. Krakenarme umschlangen eine blonde Frau und waren dabei, sie zu zerreißen. Aus zahlreichen Wunden quoll bereits Blut, und das Gesicht der Frau war entsetzlich verzerrt.
Unwillkürlich wurde sie an ein Plakat für einen Horrorfilm erinnert, aber das hier war noch grausamer.
Sie fühlte sich auf ihrem Sitz wie festgenagelt, und der Schreck hatte ihr die Sprache verschlagen.
»Du sagst ja nichts.«
»Ich kann nicht.«
»Warum nicht?«
»Das Bild…« Sie hob einen Arm und streckte den Finger aus.
»Das ist Wahnsinn. Wie kann ein Mensch so etwas malen?«
»Oh, es ist ganz einfach. Man muss nur sein Unterbewusstsein auf die Leinwand bannen, Oder seine Träume.«
»Und so was träumst du?«
»Du
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