1476 - Höllenbilder
werden.
Der Anblick machte Jessica fertig. Sie hatte plötzlich das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Ihr Herz schlug noch wilder. Obwohl sie auf das letzte Bild starrte und ihren Kopf auch nicht drehen konnte, hatte sie den Eindruck, dass dieses schreckliche Motiv verschwamm.
Was tat der Maler?
Nichts. Er hielt sich zurück. Sie sah ihn nicht, aber sie fühlte sich mehr als unwohl. Beengt, bedrückt, obwohl es nur Bilder waren und sie in ihrem Leben schon manchen Horrorfilm gesehen hatte. Aber das hier war so echt – für sie waren es die reinsten Höllenbilder.
Nein, es gab keine Geräusche. Es war still um sie herum, obwohl sie das Gefühl hatte, von fremden Lauten umgeben zu sein. Die aber existierten nur in ihrem Kopf, und so kam sie zu dem Schluss, dass es das eigene Blut war, das in ihrem Kopf rauschte.
Endlich war auch Jessica in der Lage, sich zu bewegen. Sie hob beide Hände an und wischte über ihr Gesicht. Plötzlich kam ihr in den Sinn, dass auch sie als Akt Modell sitzen sollte. Auch sie saß auf einem Stuhl. Noch war sie in der Lage, sich zu bewegen, auch wenn der Genuss des Weins sie etwas träge gemacht hatte. Aber was würde geschehen, wenn Brian Nykill sie malen wollte? Würde er sie dann außer Gefecht setzen, um in aller Ruhe ihr Gesicht oder ihren Körper zerschneiden zu können?
Sie empfand den Gedanken als gar nicht so abwegig. Plötzlich wurde ihr ihre Nacktheit bewusst und damit auch die Tatsache, dass sie wehrlos war.
Wie ein Geist tauchte der Maler wieder auf. Er trug auch jetzt sein dunkles Gewand und lächelte sie an. In seinem Gesicht malte sich der Ausdruck eines Fanatismus ab, vor dem sie sich fürchtete.
»Nun, wie gefallen dir meine Werke, Jessica?«
Sie musste schlucken, und sie stellte fest, dass ihr Speichel bitter schmeckte. Trotzdem hatte sie keine Antwort parat, die sie dem Mann hätte geben können.
»Ich – ich weiß nicht. Sie sind so schrecklich. Besonders die Frau, die nackt ist.«
»Das sind meine Träume.«
»Ich weiß, und ich bin froh, dass ich nicht solche Träume habe. Das kannst du mir glauben. Ich will so etwas gar nicht anschauen, und wenn du mich jetzt malst, dann…«
Er ließ sie nicht weitersprechen und schüttelte den Kopf. »Da brauchst du dich nicht zu fürchten, meine Schöne. Du bist mir noch nicht in meinen Träumen begegnet. Ich werde dich so malen, wie du erschaffen worden bist. Deine Schönheit ist außergewöhnlich. Ich glaube sogar, dass sie dir der Teufel geschenkt hat.«
»Wie?«
»Schon gut.« Er winkte ab und nickte ihr zu. »Warte noch einen Moment. Ich gehe nur, um meine Palette zu holen. Danach fangen wir an, und du wirst es nicht bereuen.«
Jessica wollte eine Antwort geben und widersprechen, aber Nykill ließ sie nicht dazu kommen. Er drehte sich um und verschwand im Hintergrund.
Jessica blieb allein zurück. Sie schwitzte und fror zugleich. Sie wollte weg und zu Boden schauen, um die Bilder nicht mehr ansehen zu müssen. Das schaffte sie nicht. Von ihnen schien ein Zwang auszugehen, der sie in seinem Bann hielt.
Und ihre Blicke schweiften zwischen den Motiven hin und her. Sie sah den Knochenreiter auf dem springendem Pferd, sie schaute auf die Frau in der Gewalt des Krakenmonsters, dann drehte sie ihr Gesicht wieder dem letztem Bild zu.
Es war für sie das Grausamste.
Jessica presste ihre Hände gegen die Lippen, um die Schreie zu unterdrücken. Wenig später war sie froh über diese Haltung, denn es passierte etwas, mit dem sie trotz allem nicht gerechnet hatte.
Das Pferd mit dem Knochenreiter auf dem Rücken bewegte sich.
Es schien aus dem Bild springen zu wollen.
Zugleich zuckten die Krakenarme auf dem zweiten Bild, und auch das dritte blieb nicht mehr starr.
Die Frau mit dem zerschnittenen und blutigen Gesicht fing an zu grinsen. Sie schien Jessica eine Botschaft schicken zu wollen, bei der sie ihr erklärte, dass es bald auch sie erwischen würde.
Sie schüttelte den Kopf. Das konnte es nicht geben. Das war einfach verrückt! Hier hatte jemand die Naturgesetze auf den Kopf gestellt, und sie war nicht in der Lage, dies zu begreifen.
Aber sie hatte Gefühle. Die Sensoren in ihrem Gehirn fingen an zu arbeiten und schickten ihr eine Warnung zu.
Hau ab! Verschwinde von hier! Flieh so schnell wie möglich! Du musst den Ort verlassen! Hier lebt ein Teufel! Er wird dich vernichten wollen…
Sie vernahm die Warnungen wie Stimmen in ihrem Gehirn. Aber sie schaffte es noch nicht, sich zu erheben. Ein Schwindel
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