1476 - Höllenbilder
den Maler gespannt. Ein frischer Wind wehte gegen sie, und sie nahm dabei sogar ihren eigenen Körpergeruch wahr. Das Duschgel lag noch in den Poren und verbreitete einen frischen Zitronengeruch.
Auf dem letzten Absatz blieb sie vor einer Tür stehen. Sie trat nicht ein, obwohl die Tür offen stand.
»Bist du da?«
»Ja.«
»Dann komm bitte.«
»Ist schon okay.« Jessica lächelte etwas verkrampft. Ihre innere Unruhe war sie noch immer nicht losgeworden, aber sie machte sich darüber keine Gedanken mehr und betrat das Atelier, über das sie nur staunen konnte.
Viel Glas, nur ein paar Balken, die für die Statik der Dachkonstruktion wichtig waren.
Es war noch August, aber das Wetter hatte sich geändert. Nach der großen Hitze war schon eine fast herbstliche Kühle über das Land gekommen, was dem Atelier hier oben sicherlich gut tat. Bei großer Hitze hätte Jessica hier nicht arbeiten und auch nicht Modell sitzen wollen.
Wo sie hinschaute, sah es nach künstlerischer Arbeit aus. Da lagen die Paletten mit den verschiedenen Farben. Sie sah aufgespannte Leinwände, auch fertige Bilder, die allerdings verhängt waren, und als sie sich zögernd tiefer in den Hintergrund des Ateliers hinein bewegte, sah sie auch dessen Besitzer.
Beim Hochkommen hatte sie nur einen flüchtigen Bück auf ihn werfen können. Nun sah sie ihn genauer und konnte nicht vermeiden, dass sie erschrak.
Unter den Malern hatte sie schon öfter verrückte Typen erlebt.
Dieser hier schlug dem Fass allerdings den Boden aus. Er glich mehr einer Gruselgestalt als einem Künstler. Bekleidet war er mit einer dunklen Kutte. Er hatte sogar die Kapuze über den Kopf gezogen, wobei die Kutte, die die junge Frau mehr an einen Kittel erinnerte, nicht geschlossen war.
Das Gesicht lag frei. Darin fielen besonders die dunklen Augenbrauen auf, die wie zwei dicke Striche auf der Haut lagen. Eine markante breite Nase und zwei recht dicke Lippen. Die Augen waren ebenfalls sehr dunkel und lagen in tiefen Höhlen.
Alles, was sie sah, machte Jessica unsicher. Und so sah auch ihr Lächeln aus. Sie hielt die Hände vor dem Körper übereinander gelegt und spielte mit ihren Fingern.
»Da bin ich!«
Brian Nykill sagte nichts. Er nickte nur und schaute sie an, als wollte er sie mit seinen Blicken ausziehen. Dass Jessica dabei eine Gänsehaut bekam, konnte sie nicht vermeiden, und der Wunsch, auf der Stelle kehrtzumachen, stieg in ihr hoch.
Nach einer Weile nickte der Maler abermals.
»Ja, du bist gut. Du bist genau richtig, meine Liebe. Dunkle Haare, ein warmer Teint, ein junges und auch schönes Gesicht, so liebe ich das. Es gibt viele Frauen, die sich selbst nicht, einschätzen können, die übertreiben, aber du hast untertrieben, das sehe ich mit Kennerblick.«
Er lächelte dabei, aber das Lächeln gefiel Jessica nicht.
Sie hob die Schultern, zu einer anderen Erwiderung fühlte sie sich nicht fähig. Aber sie war auch gebannt und tat nichts, als der Maler auf sie zutrat und einen Arm um ihre Schultern legte.
»Komm mit, bitte.«
»Wohin?«
»Wir müssen uns auf unsere Arbeit vorbereiten.«
»Aber hier ist doch…«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, hier ist nicht das Atelier, was ich meine. Eine wie du sollte andere Dinge sehen und erleben, und deshalb werden wir in einen Nebenraum gehen.«
Jessica war zwar nicht wohl bei der Sache, aber sie musste mit. Er dirigierte sie dorthin.
Der Raum war düster. Er lag in einem Teil des Dachs, wo es keine großen Fenster gab. Es gab überhaupt nichts, durch das hätte Licht fallen können, aber es war auch nicht finster. Dafür sorgte das Licht zahlreicher Kerzen, die sich im Raum verteilten und deren Flammen auch Wärme abgaben.
»Hier?« fragte Jessica.
»Ja.«
»Aber das Licht reicht nicht…«
»Es ist wunderbar, meine Schöne. Es ist für meine Arbeit wie geschaffen.«
Der Maler ging zu einem kleinen Schrank, öffnete ihn und holte eine Flasche Rotwein hervor. Zwei Gläser standen bereit. Die Flasche hatte er bereits geöffnet und nickte seinem Modell zu, bevor er den Wein in zwei Gläsern verteilte.
»Wir werden zunächst mal auf unsere gute Zusammenarbeit trinken«, sagte er mit leiser Stimme.
Jessica wollte den Kopf schütteln. Im Prinzip trank sie keinen Alkohol oder nur wenig, aber hier traute sie sich nicht, es zu sagen.
Hier war alles anders. Sie war in eine fremde Welt eingetaucht, und sie nahm das Glas mit dem Wein entgegen, der für sie die Farbe von dunklem Blut hatte.
»Auf uns und
Weitere Kostenlose Bücher