1479 - Die Totenfrau vom Deichhotel
wollen, und so warteten sie darauf, irgendwann befreit zu werden.
»Das ist nun passiert«, sagte ich.
»Und durch wen? Durch meine Frau?«
»Ja, Herr Böhme.«
Der Mann musste schlucken. Das war ein verdammt schwerer Brocken, den er da zu verarbeiten hatte. »Aber Sigrid hat nichts getan, verflucht noch mal. Sie hat die alten Bretter nur bemalt, mehr nicht.«
»Ja, und der Köhler war froh, dass er sie los war. Glauben Sie mir, Herr Böhme, der hat genau gewusst, was er tat. Ihrer beide Pech, dass Sie darauf reingefallen sind.«
»Und wie geht es weiter?« Er trat dicht an seine Frau heran und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Da kann ich nur spekulieren.«
»Tun Sie das.«
»Die fünf Geister wollen ihren Seelenfrieden zurück oder ihn endlich bekommen. Wie sie das anstellen werden, kann, ich Ihnen leider nicht sagen. Jedenfalls werden Unschuldige in diesen verdammten Kreislauf hineingezogen werden.«
»Meine Frau gehört bestimmt dazu?«
»Ich denke schon.«
Er drückte Sigrid noch fester an sich. »Glaube nur nicht, dass ich das zulasse. Ich werde auf dich achten und…«
Ich unterbrach ihn. »Das ist sehr ehrenwert von Ihnen, Herr Böhme. Es stellt sich nur die Frage, ob Sie damit Erfolg haben werden.«
»Warum nicht?«
»Sie dürfen nicht vergessen, dass Ihre Frau in der Lage ist, sich in zwei Zuständen zu zeigen.«
Er schwieg.
»Ist das wichtig?« fragte Claasen.
»Ich denke schon. Diese fünf Hexen haben Sigrid Böhme eiskalt benutzt. Sie haben ihre Astralleiber vorgeschickt, um schon mal so etwas wie eine Warnung zu senden. Jetzt sind sie frei und ab jetzt werden sie sich selbst um ihr Seelenheil kümmern, und das kann durchaus für uns Menschen gefährlich werden.«
Meine Worte hatten sie getroffen, denn zwischen uns herrschte das große Schweigen. Ich ließ es bewusst andauern, damit auch die anderen nachdenken konnten.
Schließlich unterbrach Claas Claasen das Schweigen. »Fünf?« fragte er mit leiser Stimme.
Ich nickte.
Der Hotelier überlegte weiter. »Fünf Hexengeister und fünf Menschen. Kann man davon ausgehen, dass wir dann in Gefahr schweben?« Er hatte Mühe die Frage zu stellen.
»Das könnte sein.«
Claasen schluckte. Er schaute nicht mehr zu Boden, sondern richtete seine Blicke mal auf mich und dann auf die Böhmes, die seinen Gedankengang sehr wohl verstanden.
Axel Böhme übernahm das Wort. »Warum das alles?« flüsterte er.
Ich hob die Schultern. »Diese feinstofflichen Wesen suchen ihr Seelenheil. Sie haben sich damals auf den Teufel verlassen, weil sie mit ihm paktierten. Man legte sie auf die Totenbretter, nachdem sie gestorben waren. Sie hatten dem Teufel ihre Seelen versprochen, der sie jedoch nicht haben wollte, und nun sind sie weiterhin unterwegs, um ihr Seelenheil zu suchen. Das finden sie dann bei uns Menschen.«
Axel Böhme nahm die Antwort hin, aber er dachte auch darüber nach und fragte schließlich: »Was hat denn meine Frau damit zu tun?«
»Es sind die Bretter«, sagte ich. »Die haben die Seelen gefangen gehalten. All die Jahre über. Nun sind sie frei, und Ihre Frau ist wohl der Auslöser gewesen. Sie ist eine Künstlerin. Sie ist sensibel genug, um zu einem Opfer zu werden. Das Schicksal hat den Hexen genau die richtige Person geschickt. Sie haben sie verändert und angegriffen, ohne dass sie es selbst bemerkte.« Ich wandte mich direkt an sie.
»Oder liege ich da falsch, was Ihren Astralleib angeht? Haben Sie ihn schon länger produzieren können?«
»Nein, ich hatte keinen Einfluss darauf. Es ist urplötzlich passiert.«
»Wann?«
Sigrid Böhme schaute zu Boden. »Ich habe mit meinem Mann nie darüber gesprochen, weil ich ihn nicht beunruhigen wollte. Auch unserer Tochter habe ich nichts gesagt. Aber es liegt noch nicht lange zurück. Ich habe nachgedacht und weiß den Zeitpunkt jetzt genau. Erst als ich das letzte Bild fertig hatte, fing es an. Da erlebte ich die Veränderung. Da nahm das Andere von mir Besitz, von dem ich nicht weiß, was es ist.«
»Verstehe«, sagte ich. »Und dieses Andere ist mit Ihnen gegangen, als Sie die Bilder herbrachten?«
»So sieht es aus.«
Wenn ich ehrlich war, musste ich mir eingestehen, dass wir uns in keiner guten Position befanden. Wir alle mussten abwarten, was die Gegenseite vorhatte, und das war bestimmt kein Spaß.
Ich sah, dass sich die Blicke der Anwesenden auf mich konzentrierten. Sie hingen an meinen Lippen, denn die Menschen erwarteten von mir so etwas wie eine Lösung des
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