1479 - Die Totenfrau vom Deichhotel
unseren Ohren entlang.
Gleichzeitig erwischte uns ein Kältestoß, der durch unsere Körper fuhr wie die Klinge eines eisigen Schwerts. Für einen Moment krümmte ich mich und sah auch, dass das Kreuz in meiner Hand für einen kurzen Moment aufglühte, dabei aber keine Schmerzen an meiner Hand hinterließ. Wenig später waren die Geister verschwunden, und wir stellten uns nicht erst die Frage, wohin dieser Spuk verschwunden sein konnte.
Nach einer Drehung schaute ich nach draußen.
Es gab nichts mehr zu sehen. Nur die normale Hotellandschaft und den hohen Himmel. Irgendwo dazwischen hatten die fünf Totengeister ihr neues Zuhause gefunden.
Ich selbst musste mir eingestehen, dass ich mich nicht eben perfekt verhalten hatte. Ich hätte eventuell mehr tun können, aber das hatte ich verpasst. Und jetzt?
Als ich mich umdrehte, richtete Sigrid Böhme den Blick auf mich.
In ihren Augen stand die gleiche Frage geschrieben, und meine Antwort bestand leider nur aus einem Anheben der Schultern…
***
Was war zu tun?
Es gab darauf nur eine Antwort. Wir mussten besser und schneller sein als die fünf Geistwesen, die sich ihre Totenruhe holen wollten, denn das konnte für die Menschen verdammt schlecht ausgehen. Ich wusste nicht genau, wie sie es anstellen würden, aber die andere Seite war mit allen Wassern gewaschen, kannte Tricks, die ihr durchaus der Teufel beigebracht haben konnte, und ich ging davon aus, dass sie sich auf einen kompakten Angriff vorbereitete.
Wie konnte der stattfinden?
Fünf Geister, die ihren Frieden finden wollten. Genau das war unser Problem. Ich hatte da meine Schwierigkeiten, wobei mich ein Gedanke nicht losließ.
Fünf Geister brauchten, um ihren Frieden zu finden, auch fünf Menschen. Und das war eben das Problem. In diesem Hotel konnten sie mit Leichtigkeit diese Anzahl an Opfern finden.
Im Flur waren wir nicht mehr geblieben. Sigrid Böhme wollte auf ihr Zimmer und zu ihrem Gatten, was verständlich war. So lernte ich Axel Böhme kennen, einen Mann, der sofort begriff und keine großen Fragen stellte. Ich hatte zu ihm Vertrauen, er zu mir ebenfalls, und ich holte auch noch Claas Claasen dazu.
Als er die Tür öffnete, erkannten wir an seinem geröteten Gesicht, dass etwas passiert sein musste.
»Was ist los mit dir?«
Er atmete aus und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür.
»Das wollte ich gerade dich fragen, John.«
»Und was ist der Grund?«
»Die Bilder.« Er lachte auf. »Ich bin an ihnen vorbeigegangen, und du kannst mich für verrückt halten, aber die Motive sind verschwunden. Auf dem Holz ist nur so ein komisches Grau zu sehen. Das – das – kann doch nicht sein, verflucht.«
»Doch, es ist aber so!«
Er schaute mich an, dann das Ehepaar Böhme und flüsterte:
»Stimmt das alles?«
Sigrid Böhme, die auf der Bettkante saß, nickte. »Ja, Herr Claasen, Sie haben sich nicht getäuscht.«
»Verdammt, das kann doch nicht wahr sein!«
»Leider stimmt es«, sagte ich. Ich deutete auf einen Stuhl. »Jetzt setz dich erst mal.«
Claas ließ sich nieder. Er schüttelte den Kopf. Die Röte verschwand allmählich aus seinem Gesicht. Seine Gedanken drehten sich noch immer um die Bilder, denn er fragte: »Sind sie denn von euch übermalt worden? Das Grau ist…«
Ich unterbrach ihn. »Nein, Claas, die Motive sind von allein verschwunden.«
»Hör auf!«
»Ruhig, ruhig, ganz langsam.« Ich lächelte ihm zu. Sein Gesicht war wieder roter geworden. »Es ist so, wie ich es dir gesagt habe. Die Motive sind verschwunden, und wir haben damit nichts zu tun, das musst du uns einfach glauben.«
»Wer dann?«
»Fünf Geister, die in dem Holz gefangen waren und nun freigekommen sind. Sie haben lange genug gewartet, aber jetzt haben sie ihr Ziel fast erreicht.«
Claas schwieg. Auch Axel Böhme sagte kein Wort. Dafür stand mir seine Frau Sigrid durch ihr Nicken bei.
»Das verstehe ich nicht«, gab der Hotelier zu.
»Es ist auch nicht einfach, Claas. Allerdings kann ich dir sagen, dass die Probleme möglicherweise jetzt erst richtig beginnen.«
»Wieso?«
Meine Erklärung war für alle drei wichtig, und ich kam mir fast vor wie ein Schullehrer.
Ich sprach davon, dass in diesen Totenbrettern die Geister von fünf Hexen gefangen gewesen waren, die über all die Zeiten hinweg keine Ruhe hatten finden können. In einem Totenbrett gefangen zu sein war nicht das, was sie sich erhofft hatten.
Der Teufel hatte sie geleimt, denn er hatte ihre Seelen ebenfalls nicht annehmen
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