1487 - Die Dämonen-Prinzessin
rote und eine trotzdem düstere Welt, in der sich kein normaler Mensch wohl fühlen konnte. Wer genau hinschaute und die Wände betrachtete, der entdeckte innerhalb der Wände die erstarrten Gestalten. In die Länge gezogene Skelette mit weit aufgerissenen Mäulern, die wie zum letzten Schrei geöffnet waren.
So eine Umgebung konnte einem Menschen schon eine tiefe Furcht einjagen. Bei Kindern musste das besonders intensiv sein, und trotzdem wollten sie hierher.
War das eine Märchenwelt?
Es gab unzählige Dimensionen, die außerhalb unserer Welt lagen.
Alles war irgendwie mit- und ineinander verschachtelt, und jede zu kennen war praktisch unmöglich.
Ich blickte mich erneut um, und meine Gedanken drehten sich dabei um die verschwundenen Kinder. Wo steckten sie? Und wo konnte ich Ophelia finden?
Bisher stand ich allein in meiner Umgebung. Viel Platz gab es nicht. Über mir lag eine Decke, die ebenfalls diese bedrückende Farbe angenommen hatte. Wenn ich mich auf sie konzentrierte, dann sah ich dort ebenfalls die wie eingefroren wirkenden Gestalten.
Und dann sah ich die Kinder!
Plötzlich waren sie da. Gerrit, Kevin und Karen. Die beiden Jungen hatten das Mädchen in ihre Mitte genommen und hielten sie an den Händen fest. So gingen sie weiter, einfach nach vorn, und kümmerten sich um nichts. Sie schauten nicht zur Seite, sie wollten einfach nur laufen, und sicherlich wartete auf sie ein Ziel.
Meiner Ansicht nach konnte das nur die Dämonen-Prinzessin sein.
Was sie mit den Kindern vorhatte, stand für mich zwar nicht fest, aber ich musste dabei stets an die Hexe aus Hänsel und Gretel denken, und ich wollte nicht, dass diese drei Kinder ein ähnliches Schicksal erlitten.
Natürlich nahm ich die Verfolgung auf, und man ließ mich auch laufen. Ich wurde von keinen Feinden attackiert. Es sprang mir niemand in den Weg und aus der düsteren Umgebung löste sich auch keine Knochengestalt. Ophelia schien alles im Griff zu haben.
Wo war sie selbst?
Die drei Kinder mussten es wissen, sonst wären sie nicht so zielstrebig gelaufen. Ich rechnete damit, dass sie sich irgendwann zeigen würde.
Ich wurde weiterhin in Ruhe gelassen, und ich merkte auch, dass ich aufholte. Wir gingen einfach nur weiter. Die Welt hier schien ein Tunnel ohne Anfang und Ende zu sein.
Ich ließ die Finger über mein Kreuz gleiten, das in meiner rechten Tasche steckte.
Da tat sich nicht viel. Es war keine Wärme zu spüren. Es schien eine Gefahr nicht wahrnehmen zu wollen, zumindest keine direkte, die mich das Leben kosten konnte.
Ich holte auf.
Es waren schon die Stimmen der drei Kinder zu hören. Sie unterhielten sich. Was sie sagten, erreichte meine Ohren nicht. Dem Klang nach zu urteilen schienen sie sich keine Sorgen zu machen.
Wenig später war ich so nahe bei ihnen, dass ich sie hätte ansprechen können. Das verkniff ich mir und sorgte dafür, dass meine Schritte mit ihren im Takt blieben.
»Wie lange müssen wir noch laufen?« fragte Gerrit.
»Sie kommt schon noch.« Karen hatte gesprochen.
»Und ihr habt sie schon hier gesehen?«
»Ja.« Diesmal nickte Kevin.
»Was hat sie gesagt?«
»Sie hat sich gefreut.«
»Warum?«
»Dass wir bei ihr sind«, erklärte das Mädchen. »Sie hat sich immer Menschen als Gesellschaft gewünscht. Besonders Kinder. Sie lebt hier schon lange, und sie weiß viel über uns.«
»Was denn alles?«
»Dass wir Kinder Märchen mögen. Das war schon immer so, hat sie gesagt. Und das kenne ich auch von unserer Mutter. Sie kennt die Märchen, und meine Großmutter kennt sie auch. Sie haben sie gelesen, aber keiner hat sie erlebt. Das will Ophelia ändern. Wenn sie uns die Märchen erzählt, werden wir sie sehen können.«
»Auch die bösen Gestalten?«
»Ja, Gerrit, auch sie«, sagte Kevin. »Die Hexen und Monster, die großen Tiere und die bösen Frauen…«
»Ich will Dornröschen sehen.«
»Ja, ich auch, Karen«, rief Gerrit. »Ich liebe die Geschichte, und ich bin der Prinz, der sie wach küsst.«
»Das ist super.«
»Und du wirst das Domröschen sein.«
»Gerne, Gerrit.«
Ich war so nahe an sie herangekommen, dass ich jedes Wort verstehen konnte. Und ich war verwundert über die Naivität der Kinder, die nicht an irgendwelche Gefahren dachten und sich in dieser fremden und zugleich unheimlichen Umgebung sehr wohl fühlten.
Aber sie war leer, es gab nichts zu sehen. Wir konnten laufen, ohne ein Ziel zu finden. So dachte ich und wurde kurz darauf eines Besseren belehrt.
Es schien mir,
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