149 - Auf Messers Schneide
Geheimnisse; alle Gefühle wurden miteinander geteilt, als ob es die eigenen wären. Aruula fürchtete den Tag, an dem die Sonne wieder wächst, wie eine Nosfera, und jeder andere in der Runde bangte mit der gleichen Intensität um Maddrax wie sie.
Manchmal glaubte Aruula, sich selbst aus einer weit entfernten Perspektive zu sehen, wie sie da saß, eingereiht in den Kreis der zwölf – sie wachten und schliefen in zwei Schichten, um ihre Attacke gegen die Daa'muren rund um die Uhr aufrecht erhalten zu können. Dann wiederum kam es ihr vor, als würde sie über den Bergen und Tälern der ganzen Welt schweben und in die Köpfe der Menschen sehen, die unter ihr lebten. Und in die der Daa'muren, denen die ganze Konzentration des Zirkels galt.
In dieser Phase des Kampfes beschränkten sie sich längst nicht mehr darauf, den Lauschsinn des Feindes zu stören, nein, inzwischen griffen sie direkt an. Ein leichtes Brennen breitete sich unter der Schädeldecke aus, wann immer sie den Geist eines Daa'muren streiften.
Plötzlich war es wieder so weit.
Aruula rollte unbewusst die Schultern, um den aufkeimenden Schmerz abzuschütteln. Einige flüchtige Bilder verfestigten sich vor ihren geschlossenen Augenlidern. Es handelte sich um fremde Gedanken, viel zu stark konzentriert, um von einem normalen Wesen zu stammen. Augenblicklich stieg in allen das Abbild eines silbernen Stirnreifs auf, den die Daa'muren zur Verstärkung ihrer Gedanken trugen.
Gemeinsam mit den anderen griff Aruula nach der fremden Präsenz. Augenblicklich quoll ihnen eine Flut von Bildern entgegen. Jedes einzelne von ihnen barg unendliche Schrecken.
»Es naht die Zeit, in der die Sonne wieder wächst«, stöhnten die Nosfera, weil sie riesige Lichtbälle vom Boden aufsteigen sahen, die sich pilzförmig am Himmel ausbreiteten.
Aruula erschauerte dagegen, als sie verschiedene Bunkerfahrzeuge erkannte, die sich einen engen Bergpass empor quälten. EWATs, ARETs und AMOTs bildeten eine stählerne Schlange, die von Fußtruppen begleitet wurde. Das mussten die Einheiten unter Mr. Black und Emily Priden sein.
Andere Gedankenfetzen zeigten die Insektoiden unter Chorr'nizz und Ul'anbar, die andernorts in breiter Front die schroffen Hänge erklommen.
»Die Daa'muren kundschaften unsere Freunde aus«, entfuhr es ihr laut. Einige Helfer, die sich unsichtbar im Hintergrund hielten, scharrten daraufhin nervös mit den Schuhspitzen. Es waren nur ganz leise, kaum wahrnehmbare Geräusche, doch Aruula, mit den scharfen Sinnen einer Barbarin ausgestattet, hörte sie trotzdem.
Einmal aus der Konzentration gerissen, wollte sie die Gelegenheit wenigstens nutzen, eine Warnung auszusprechen.
»Mr. Black muss es erfahren«, forderte sie, blind in den Raum hinein. »Seine Truppen werden schon erwartet.«
Irgendjemand stand auf und ging davon. Hoffentlich, um mit dem Funkgerät Kontakt zu Black aufzunehmen.
Aruula spürte eine leichte Woge der Missbilligung, die ihren Körper wie eine kalte Brandung umspülte. Die anderen des Zirkels forderten ihre volle Konzentration. Sofort versank sie wieder ganz in sich selbst und wurde eins mit der Gemeinschaft.
Wie es weiterging, musste nicht besprochen werden. Sie alle fühlten, wünschten und handelten aus einem gemeinsamen Antrieb heraus. Rasch spürten sie die Quelle der Gedanken auf, die sie empfingen wie ein Trommelfell die Schläge des Trommlers. Es war ein Daa'mure, der einen Lagebericht an einen entfernten Kameraden sandte, um den Sol über die anrückenden Truppen zu informieren. Seine echsenhafte Gestalt schälte sich plötzlich aus der Dunkelheit und stand ihnen allen klar vor Augen.
Aruula fixierte seinen Kopf, in den sie gleich mit aller Macht dringen wollte. Wie die anderen im Kreis, dachte sie an ein schmerzhaftes Ereignis aus ihrer persönlichen Vergangenheit. In ihrem Fall war es der Verlust ihres Kindes, die anderen besaßen andere Wunden, die sie normalerweise sorgsam verborgen hielten. Gemeinsam ließen sie Schmerz und Verzweiflung in sich aufsteigen. Faathme, die als stärkste Lauscherin von allen in der Mitte des Kreises auf einem erhöhten Podest kauerte, kanalisierte und vereinigte ihre Gefühle zu einem Strom unendlichen Leides, den sie wie einen Sturzbach in den gegnerischen Geist leitete.
Sie alle konnten spüren, wie der Daa'mure unter dem Angriff erzitterte. Entsetzt schrie er auf und versuchte den Silberreif von der Stirn zu schlagen, doch es war schon zu spät.
Unendlicher Schrecken lähmte bereits
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