15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
Bruder.“
„Wann hast du ihn kennengelernt?“
„Vor einigen Tagen. Auch bin ich in seinem Haus eingekehrt.“
„Hast du auch seinen Bruder gesehen?“
Er gab sich den Anschein der Unbefangenheit; es war jedoch ganz so, als ob er mit diesen Fragen einen gewissen Zweck verfolge. Er fragte mich nach meinen Personalien, und ich gab ihm die Auskunft, welche mir geboten schien. Als er nach einiger Zeit bemerkte, daß ich jetzt ausgehen werde, um mir Menlik und den Jahrmarkt anzusehen, bot er mir so geflissentlich seine Begleitung an, daß ich ihn nicht zurückweisen konnte, obgleich ich viel lieber allein mit Halef gegangen wäre.
Es herrschte ein überaus reges Leben, aber zu vergleichen ist so ein Markt doch nicht mit einem deutschen Jahrmarkt. Der schweigsame Türke durchschreitet still die Budenreihen oder vielmehr die Reihen der Verkäuferstände, deren Inhaber ebenso wortlos bei ihren Waren sitzen und es sich gar nicht einfallen lassen, irgendeinen Käufer anzulocken. Und tritt einer heran, so geht die Sache so ruhig, fast heimlich ab, als gelte es, wichtige Geheimnisse einzutauschen.
Der Unterschied liegt ganz besonders in dem Mangel des weiblichen Elementes. Man sieht fast nur Männer, und nur hier und da taucht eine ballonartige Hülle auf, aus deren Guckloch ein schwarzes Auge funkelt. Die Frauen der Nichtmohammedaner sind zwar nicht zu einer solchen Zurückhaltung verpflichtet, aber auch bei ihnen gilt es nicht für schicklich, sich dem Gedränge eines Marktes preiszugeben.
Karussells, Schau-, Spiel- und Würfelbuden gab es nicht. Der Würfel ist dem rechtgläubigen Moslem ein Greuel, da der Koran ihn verbietet. Leierkästen, Musikantenbanden, welche einen europäischen Markt beleben, durfte man hier nicht suchen. Doch ja, eins gab es, und zwar etwas, woran der Türke außerordentlich Geschmack findet, nämlich ein Zelt mit chinesischen Schattenspielen. Man nennt sie Kara göz ojunu.
Hier strömten die Menschen in Masse ein und aus: hinein mit dem Ausdruck größter Spannung in dem Gesicht, heraus mit lächelnden, hochbefriedigten Mienen.
„Habt ihr schon einmal ein Kara göz gesehen?“ fragte uns der Fuhrmann.
„Nein.“
„Wie ist das möglich? Es gibt nichts Schöneres als so ein Schattenspiel. Laß uns hineingehen!“
Es schien unmöglich zu sein, Platz zu bekommen, aber mit Hilfe der Ellbogen, die ich ganz rücksichtslos in Tätigkeit setzte, gelangten wir doch bis an die Grenze der Möglichkeit; dann aber standen wir, eingekeilt in eine Menschenmenge, welche in lautloser Erwartung des ersehnten Genusses harrte.
Mir wurde bereits jetzt übel. Der Orientale schläft in seinen Kleidern, die er also äußerst selten ablegt. Von einem regelmäßigen Wechsel der Leibwäsche hat er gar keine Ahnung; darum ist es kein Wunder, daß seine Nähe nicht nur durch das Auge, sondern auch durch die Nase bemerklich ist. Und nun diese fürchterlich zusammengedrängten Menschen! Der Dichter des Inferno hat eine wunderbare Phantasie entwickelt, aber eine der entsetzlichsten Strafen hat er doch übersehen – eine arme Seele, zwischen Orientalen eingepreßt, um ein chinesisches Schattenspiel zu erwarten, unfähig, die Arme zu rühren und sich die Nase zuzuhalten. Ein Glück, daß ich damals von dem Dasein des Komma-Bazillus und anderer ähnlicher Ungeheuer noch keine Ahnung hatte! Welch ein Weltmeer von Bazillen mußte uns hier umfluten!
Endlich gellte ein schriller Pfiff. Die Vorstellung begann. Was ich sah, war obszön im höchsten Grade und wurde mit einem schallenden Gelächter belohnt, während der Orientale das laute Lachen sonst für unanständig hält. Ich wollte sogleich gehen, aber ich konnte nicht; ich stak so fest, daß ich kein Glied zu rühren vermochte, und so war ich gezwungen, auszuharren, bis ein zweiter Pfiff das Publikum belehrte, daß es für einen Viertelpiaster bereits mehr als zu viel gesehen hatte.
Jetzt setzte sich das Menschen-Gelee in Bewegung und löste sich langsam in einzelne Personen auf. Draußen angelangt, holte ich zunächst tief Atem. Seekrankheit ist das reine Amüsement gegen das, was ich nun glücklicherweise überstanden hatte.
„Gehen wir noch einmal hinein?“ fragte der Fuhrmann.
Halef streckte ihm alle zehn Finger abwehrend entgegen, und ich gab gar keine Antwort.
Während unserer übrigen Wanderung machte ich die Beobachtung, daß der Fuhrmann ganz übermäßig besorgt war, uns nicht zu verlieren; auch suchte er es ängstlich zu vermeiden, daß sich
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