15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
Sie hustete und verlor ihre Kräfte.“
„So bist du hart mit ihr gewesen?“
Er antwortete erst nach einer Weile:
„Durfte ich sie eine Giaurin werden lassen?“
„Sie ist es doch geworden und aus Gram über deine Strenge erkrankt und gestorben. Sie hat sich draußen im Gebüsch einen Altar errichtet, um nach der Weise der Christen zu dem Allmächtigen beten zu können. Sie ist im Gebet gestorben. Laß jetzt Friede sein zwischen dir und ihr!“
„Bist du etwa ein Christ?“
„Ja.“
Er blickte mir lange in die Augen. Er kämpfte mit sich; dann streckte er mir die Hand entgegen und sagte:
„Du kannst nicht dafür, daß du ein Ungläubiger bist und daß auch sie euren Lehren Glauben geschenkt hat. Führe mich zu ihr, mich und die Kinder!“
„Willst du nicht die Knaben zurücklassen? Sie bekommen noch zeitig genug das Angesicht der Toten zu sehen.“
„Du hast recht. Laß uns allein gehen.“
Meine Gefährten hielten noch immer unten an der Tür. Als er sie erblickte, sagte er:
„Ich glaubte, du seist allein, denn ich habe euch nicht kommen sehen. Ihr seid meine Gäste. Da drüben ist der Stall, und dort ist das eigentliche Wohnhaus. Im Turm wohne ich allein. Es ist zwar niemand zu Hause, aber geht nur hin und denkt, ihr seid daheim.“
„Wo ist der Feldwebel?“ fragte ich.
„Er hat niemand gefunden und ist wohl gegangen, um die Abwesenden zu suchen. Sie sind ja alle fort, um nach der Verschwundenen zu forschen. Gehen wir allein.“
Meine Begleiter ritten nach dem angewiesenen Gebäude hinüber. Halef hatte Rih am Zügel. Der Hauptmann sah den Rappen und war zu sehr Offizier, um nicht für einen Augenblick seine Trauer zu vergessen.
„Dieses Pferd gehört dir?“ fragte er.
„Ja.“
„Ein Christ und ein solches Pferd? Du mußt ein vornehmer und reicher Herr sein! Verzeihe mir, wenn ich vergaß, dir die gebührende Ehre zu erweisen!“
„Allah hat alle Menschen geschaffen und ihnen befohlen, Brüder zu sein. Ich habe dir nichts zu verzeihen. Komm!“
Wir stiegen bergan. Als wir das Gebüsch erreichten und ich da stehen blieb, sah er sich suchend um und fragte:
„Ist es hier?“
„Ja. Da drinnen.“
„In diesem Dickicht? Wer hätte das gedacht! Wie hast du sie da finden können?“
„Mein Pferd hat sie entdeckt. Es blieb hier schnaubend stehen. Komm herein!“
Wir drangen durch das Strauchwerk bis zu dem offenen Plätzchen. Ich werde in meinem ganzen Leben den Auftritt nicht vergessen, der nun folgte. Als sein Blick auf die Leiche fiel, stieß er einen lauten Schrei aus und warf sich neben sie hin. Er nahm sie in die Arme; er küßte ihre kalten Lippen; er streichelte ihr die Wangen und strich ihr liebkosend über das Haar. Er mußte sie sehr, sehr lieb gehabt haben – und war dennoch hart gegen sie gewesen.
Sie hatte ihren Glauben vor ihm heimlich gehalten. Wie oft mochte sie mit Seelenqualen gerungen haben!
Er schien dieselben Gedanken zu haben. Jetzt, da er die Tote in den Armen hatte, weinte er nicht. Sein Blick haftete starr auf ihren Zügen, als gelte es, da irgendein Geheimnis zu ergründen. Dann sagte er:
„Sie ist vor Gram krank geworden und gestorben!“
Es wäre ein Fehler gewesen, ihn trösten zu wollen. Ich sagte also:
„Sie ist in dem Glauben gestorben, welcher selig macht. Das Christentum läßt auch die Frauen teil am Himmel nehmen, und du hast ihr diesen Himmel rauben wollen.“
„Sprich nicht so! Deine Worte zerreißen mir das Herz. Sie ist tot, und vielleicht trage ich die Schuld daran. Könnte sie doch nur noch einmal die Augen öffnen; könnte sie doch nur noch einmal sprechen! Einen Blick, ein Wort möchte ich haben. Aber sie ist fortgegangen ohne Abschied, und niemals werde ich wieder ihr Auge sehen und ihre Stimme hören! Und es ist mir, als ob ich ihr Mörder sei!“
Ich war still; ich sagte nichts. Er betrachtete den Rosenkranz.
„Das ist nicht die Gebetschnur der Moslemim“, sagte er nach einer Weile. „Sie müßte neunundneunzig Kugeln haben für die neunundneunzig Eigenschaften Allahs. Diese Schnur aber hat große und kleine Kugeln. Was mag dies bedeuten?“
Ich erklärte es ihm.
„Kannst du mir diesen Gruß an Jungfrau Maria sagen und die Worte des Pater noster?“
Ich tat es. Als ich geendet hatte, sagte er langsam:
„Vergib uns unsere Schuld! Glaubst du, daß sie mir die meinige vergeben hat?“
„Ich glaube es, denn sie war eine Christin und hat dich liebgehabt.“
„Das ist die Gebetsschnur der alten Dienerin, die
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