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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ich fortjagte. Ich werde sie aufheben, denn sie hat sich in den Händen Haras befunden, als sie starb. Und da oben ist auch das Kreuz der Alten. Sie hat beides zurückgelassen. Dieser Ort soll ganz so bleiben, wie er ist, und vielleicht werde ich ihn oft besuchen. Aber niemand soll ihn sehen. Ich werde die Tote hinaustragen. Komm, Herr!“
    Er legte die Leiche nicht gleich draußen nieder, sondern er trug sie noch eine ganze Strecke fort, damit die Stelle, an der sein Weib gestorben war, nicht so leicht erraten werden könnte. Er bedeckte das Antlitz der Toten mit dem Schleier und sagte:
    „Du hast ihr Angesicht gesehen. Das ist eine Sünde; aber da sie als Christin gestorben ist, kann ich mich beruhigen. Ein anderer aber soll sie nicht sehen.“
    Er saß noch lange da neben ihr und klagte sich an. Sein Schmerz war aufrichtig, wurde aber nach und nach ruhiger. Dann kam der Feldwebel mit zwei Leuten, welche die Bahre trugen. Halef war dabei und hatte sie geführt. Die Leiche wurde nach Hause geschafft, hinauf in das Turmzimmer, in welchem ich mit dem Hauptmann gesprochen hatte. Die Knaben waren neun und elf Jahre alt; sie vermochten den Verlust, welcher sie getroffen hatte, zu begreifen. Ihr Weinen war herzerschütternd; ich mußte gehen, um nicht auch laut zu schluchzen.
    Die Bewohner der um den Turm liegenden Gebäude waren zurückgekehrt; sie standen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem Hauptmann. Er war wohlhabend, und ihm gehörten diese Häuser.
    Auf seinen Befehl wurde uns eine Mahlzeit zugerichtet; er selbst aber ließ sich nicht sehen. Später ließ ich ihm sagen, daß wir aufbrechen wollten, und er sandte mir die Bitte, zu ihm zu kommen. Als ich in das Turmzimmer kam, saß er neben der Leiche. Er sah ganz verweint und ermattet aus, streckte mir die Hand entgegen und sagte:
    „Du willst mich verlassen?“
    „Ja; ich muß meine Reise fortsetzen.“
    „Ist das so notwendig? Kannst du nicht heute bei mir bleiben? Wenn Hara jetzt noch lebte, müßte sie mir von dem Glauben der Christen erzählen; nun sie aber tot ist, gibt es keinen als dich, von dem ich es erfahren kann. Bleibe da; laß mich nicht allein mit den Gedanken, welche mich quälen.“
    Ich hatte keine Zeit zu versäumen; aber es war mir, als ob ich ihm seine Bitte nicht abschlagen dürfe, und darum sagte ich zu.
    Die Gefährten hatten nicht viel gegen unser Bleiben einzuwenden, und so saß ich bei dem Hauptmann, bis es Abend wurde, und noch länger. Unsere Unterhaltung war ernst, recht ernst. Ich als Laie konnte freilich an ihm nicht zum Missionar werden; aber sein Herz war geöffnet, und ich versuchte es, das Samenkorn hineinzulegen, so gut ich es vermochte, in der Hoffnung, daß es aufgehen und Früchte bringen würde. Ich blieb mit ihm die ganze Nacht bis früh beisammen; dann setzten wir unsern Ritt fort.
    Wir ritten durch Barukin, am Nachmittag durch Dubnitza und kamen gegen Abend nach Nevrekup, das früher berühmt war wegen seiner Eisenminen. Am andern Tage ging es weiter. Wir befanden uns in einer berühmten Gegend, denn hier auf diesen Bergen war es, wo nach der griechischen Sage Orpheus durch die Macht seines Gesanges den Bäumen und Felsen Leben und Bewegung gab. Um die Mittagszeit erreichten wir endlich Menlik.
    Es versteht sich von selbst, daß wir nicht dahin ritten, wo Manach el Barscha abgestiegen war. Wir suchten uns eine andere Herberge, fanden aber sämtliche Häuser schon besetzt.
    Der Jahrmarkt hatte begonnen, und der Zudrang der Fremden war ganz bedeutend. Da Albani den Pferdebesitzer ablohnte und er also nun allein war, fand er ein Unterkommen; wir anderen aber mit unsern Pferden hatten es schwieriger.
    Wir waren eben wieder vor einer Herberge abgewiesen worden, da trat ein Mann zu uns heran und fragte:
    „Ihr sucht wohl einen Ort, an welchem ihr übernachten könnt?“
    „Ja“, antwortete ich. „Weißt du vielleicht einen?“
    „Für euch, ja; für andere nicht.“
    „Warum nur für uns?“
    „Weil ihr die Koptscha habt. Ihr seid also Brüder. Mein Herr wird euch bei sich aufnehmen.“
    „Wer ist dein Herr?“
    „Er ist Fuhrmann und wohnt nicht weit von hier. Wenn ihr mir folgen wollt, will ich euch führen.“
    „Führe uns! Ich werde dir dankbar sein.“
    Er schritt voran, und wir folgten ihm.
    „Den habe ich bereits gesehen“, bemerkte mir Halef halblaut.
    „Wo?“
    „Am Eingang der Stadt. Da stand er und schien auf irgend jemand zu warten.“
    Jetzt erinnerte ich mich auch, an ihm vorübergeritten zu

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