15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
wenn er den Fehler begeht, sich der wahrheitswidrigen Zeichnung anzuvertrauen.
Da ist zum Beispiel auf vielen Karten eine Doppellinie verzeichnet, welche von dem alten, berühmten Seres nordwärts nach Demir-Hissa und Petrowitsch und von da gegen Nordwesten über Ostromdscha und Istib nach Köprili und Uskub führt. Man schließt aus dieser doppelten Linie, daß da eine gut gepflegte, breite Land- oder gar Heerstraße vorhanden sei – aber wie sieht es in Wirklichkeit aus!
Von einer Straße in unserem Sinn ist keine Spur. Als wir aus der Seitenschlucht in das Tal der Strumnitza einbogen, wußte ich gar wohl, daß nach den Karten sich eine wohlangelegte Straße am Ufer dieses Flusses hinziehen sollte; aber was wir fanden, war auf keinen Fall mit einem deutschen Vizinalweg zu vergleichen. Die Wege, auf denen unsere deutschen Bauern auf ihre Felder fahren, sind besser angelegt und unterhalten, als diese Heerstraße es war.
Von da an, wo wir auf diese sogenannte Heerstraße einbogen, mußte man ungefähr fünf Stunden reiten, um Ostromdscha zu erreichen, wenn man die Tiere nicht stark anstrengen wollte. Dieser Ort war das Ziel unseres Rittes an diesem Tag.
Ich hatte einmal ein altes geographisches Werk über die Türkei in den Händen gehabt. Es war Seiner Königlichen Hoheit Karl, dem Fürst-Primas des Rheinischen Bundes, Großherzog von Frankfurt, Erzbischof von Regensburg usw. dem ‚hochherzigen deutschen Fürsten, Kenner und Freunde der Wissenschaften und großmütigen Beschützer der Gelehrten‘ gewidmet gewesen. Indem wir nun gen Ostromdscha ritten, fiel mir ein, daß laut des erwähnten Werkes dieser Ort an dem Rand eines Hügels liege, auf dessen Höhe ein altes, verwüstetes Schloß stehe. In der Nachbarschaft wurde früher ein berühmter Markt abgehalten, und am Fuß des Berges sollten heiße Quellen zu finden sein. Aber wer kann einem ‚Panorama der europäischen Türkei‘ trauen, welches im Jahre 1812 das Licht der Welt erblickte!
Aus neueren Aufzeichnungen wußte ich, daß die Stadt etwa sieben- oder achttausend Einwohner, meist Türken und Bulgaren, haben solle, welche viel Baumwolle und Tabak bauen. Ich war neugierig, wie sich diese Stadt uns präsentieren werde.
Leider fühlte Halef noch immer Schmerzen in der Brust. Von dem letzten Abenteuer im Taubenschlag schien er doch eine, wenn auch nicht gefährliche, innere Verletzung zu haben. Er klagte zwar nicht, aber ich ließ dennoch die Pferde nur im langsamen Schritt gehen, damit er sich nicht anstrengen solle.
Links vom Fluß breitete sich die Ebene aus, welche sich dann langsam zu den Welitza-Bergen erhebt, und rechts fielen die Höhen der Plaschkawitza-Planina steil in die Tiefe.
Wir erreichten Radowa, ein trauriges Nest, dessen Bewohner sich dem Bau der edlen Tabakpflanze hinzugeben schienen, und dann führte die sogenannte Straße mittels einer alten Brücke auf das jenseitige Ufer des Flusses über. Da wir langsam ritten, erreichten wir erst nach der Mittagszeit das Dorf Dabila, welches unsere letzte Station vor Ostromdscha war.
Ich hatte gar wohl bemerkt, daß Halef zuweilen die Lippen schmerzlich zusammenkniff. Darum sah ich mich, als wir durch das Dorf ritten, nach einem zum Ausruhen geeigneten Ort um. Ich bemerkte eine lange, ziemlich hohe, aber sich in sehr schlechtem Zustand befindliche Mauer, hinter welcher Gebäude standen. Ein breites, altertümliches Tor führte in den Hof. Der obere Teil dieses Tores war weiß übertüncht, und darauf sah ich zu meinem Erstaunen in türkischer Schrift die Worte ‚Mekian rahatün ile eminlikün ile huzurun‘ geschrieben.
Diese Inschrift mutete mich fast heimatlich an. Eine Inschrift, eine Firma an einem türkischen Han ist eine Seltenheit. Diese Worte bedeuteten auf deutsch: ‚Herberge zur Ruhe, Sicherheit und Bequemlichkeit‘. Ob man ihnen wohl trauen konnte?
„Wollen wir hier einmal einkehren?“ fragte ich Halef.
„Wenn du willst, Sihdi“, antwortete er; „ich tue, was dir gefällt.“
„So kommt herein!“
Wir lenkten durch das Tor in den Hof, welcher von drei niedrigen Gebäuden und von der erwähnten Mauer eingeschlossen wurde.
In der Mitte desselben lag das, was man als die ‚Goldgrube des Landwirtes‘ zu bezeichnen pflegt, nämlich die Düngerstelle. Nach ihrer Höhe und nach ihrem Umfang war anzunehmen, daß der Besitzer reich an dem erwähnten edlen Metall sein müsse, zumal eigentlich der ganze Hof auf die Bezeichnung als Goldgrube Anspruch erheben konnte; denn kaum
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