15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
daß er uns genauer musterte als vorher.
„Ich habe euch nicht sehr freundlich empfangen“, sagte er dann. „Ihr dürft mir das nicht übelnehmen. Es gibt Gäste, welche einem die Lust am Herbergen verleiden.“
„Hast du schon schlimme Erfahrungen gemacht?“
„Sehr schlimme.“
„Erst kürzlich wohl?“
„Ja, heute Nacht. Ich bin bestohlen worden.“
„Von Gästen? Wie ist das zugegangen?“
„Du mußt wissen, daß ich viel Tabak baue. Zu gewissen Zeiten kommt ein Tabakshändler aus Saloniki zu mir, um zu kaufen. Gestern war er da und zahlte mir die letzte Rate für die vorjährige Ernte. Es waren grad hundert Pfund. Eben als er sie mir hier auf den Tisch legte, lauter goldene Pfundstücke, kamen drei Fremde, welche mich fragten, ob sie bei mir schlafen könnten. Ich hieß sie willkommen und trug das Geld hinaus, hinüber in meine Schlafstube. Von dort haben sie es mir gestohlen.“
„Wie haben sie das angefangen? Ist es denn so leicht, in deine Schlafstube zu gelangen? Hat sie auch nur solche Rutenwände, wie diese Stube hier?“
„O nein. Sie liegt in der hinteren, linken Ecke des Hauses und besteht aus den beiden Umfassungsmauern und aus zwei starken Backsteinwänden, welche bis unter das Dach hinaufgehen. Die Tür ist stark und sogar mit Eisen beschlagen. Ich habe diese Sicherheitsmaßregel getroffen, weil ich dort alles aufbewahre, was mir wertvoll ist.“
„Wie sind die Diebe da hineingekommen? Wie haben sie überhaupt wissen können, daß du das Geld dort aufbewahrst?“
„Du mußt eben bedenken, daß hier alle Wände nur aus Geflecht bestehen und daß sie leicht verschiebbar sind. Dadurch ist es ermöglicht worden, daß mir einer von den dreien nachschleichen und da beobachten konnte, wohin ich das Geld trug. Dann ist er schnell hinausgegangen, hinter das Haus, um durch das Fenster zu sehen, wohin ich es stecken werde. Als ich es eingeschlossen hatte, war es mir, als ob ich von draußen her ein Geräusch vernähme. Ich eilte an den offenen Laden und horchte hinaus. Da vernahm ich Schritte, welche sich entfernten. Als ich dann zurückkehrte, fehlte einer von den dreien. Er trat nach einigen Augenblicken ein.“
„Ist dir denn das nicht aufgefallen?“
„Sogleich nicht. Die Schritte, welche ich gehört hatte, konnten ja von einem meiner Knechte herrühren, welche um die betreffende Zeit gewöhnlich hinter dem Haus zu tun haben. Erst später, als ich den Verlust des Geldes bemerkte, fiel mir dieser Umstand ein, und als ich da die Dienstboten befragte, erfuhr ich von einem meiner Taglöhner, daß er genau um die angegebene Zeit nach dem Pferch der Schafe, welcher hinter dem Haus liegt, sich begeben habe und dort dem Fremden begegnet sei, der aus der Richtung meiner Schlafstube gekommen ist.“
„Und weißt du vielleicht, in welcher Weise der Diebstahl ausgeführt worden ist?“
„Das ist mir noch jetzt ein Rätsel. Als ich schlafen ging, war es sehr spät, einige Stunden nach Mitternacht. Ich hatte gespielt und Geld gewonnen und wollte es zu dem übrigen tun. Als ich das Schränkchen öffnete, war es leer.“
„Hm! Es war vorher verschlossen? Ich meine, mit einem Schlüssel?“
„So war es.“
„Und die Schlafstube auch?“
„Nein, diese nicht. Sie steht fast immer offen, weil mein Weib und meine Kinder oft hineingehen und ich dann die Mühe hätte, allemal aufzuschließen.“
„Du sagst, daß du gewonnen habest. Mit wem hast du gespielt?“
„Mit den drei Männern.“
„Nicht auch mit dem Tabakhändler?“
„Nein. Der war noch vor Einbruch der Nacht fortgeritten. Die Gäste waren noch nicht müd und fragten mich, ob ich wohl ein Kartenspiel mit ihnen machen wolle. Ich ging darauf ein und gewann beinahe ein Pfund. Ich mußte dabei mit ihnen Raki trinken, und da sie mir sehr fleißig zutranken, so bekam ich nach und nach ein Räuschchen und wurde so müd, daß ich endlich das Spiel aufgeben mußte.“
„Und dann bist du sogleich in deine Schlafstube gegangen, um den Gewinn in den Schrank zu tun?“
„Nein. Vorher mußte ich den dreien das Tor öffnen. Sie meinten, es sei zu spät, um noch schlafen zu gehen. Der Morgen war nahe, und sie zogen vor, sogleich aufzubrechen. Sie bezahlten für das, was sie verzehrt hatten, mehr als ich verlangte, und dann ritten sie fort.“
„Wohin? Haben sie dir das gesagt?“
„Ja. Sie wollten nach Doiran.“
„Hm, also nach Süden, über Furkoi und Oliwetza. Und woher waren sie gekommen?“
„Von Menlik her.“
„Ah,
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