Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
sie zu verständigen, und wir huschten nach der den Schritten entgegengesetzten Richtung hinter die Büsche.
    Kaum hatten wir uns dort niedergekauert, so erschienen drüben die Leute, welche uns so unliebsam um den Schlaf brachten. Es war unter der Platane natürlich dunkler als unter dem freien, sternenhellen Himmel, trotzdem aber konnte ich mit ziemlicher Deutlichkeit vier Personen erkennen. Die vordere von ihnen schien mehrere Werkzeuge zu tragen, welche sie vor dem Grab in das Gras warf; hinter ihr führten zwei eine dritte Person, welche sie dann sorgsam auf die Erde niedersitzen ließen. Eine von diesen zweien war ein Weib.
    „Fangen wir gleich an, Herr?“ fragte der erste.
    „Ja. Wir müssen rasch machen. Mitternacht ist schon nah. Die Teufelshexe soll nicht wieder aus dem Grab steigen können.“
    „Wird es nichts schaden?“ fragte die Frau ängstlich.
    „Nein. Ich habe dir doch schon hundertmal gesagt, daß wir ein gutes Werk tun. Nimm die Hacke, Andras!“
    Andras, zu deutsch Andreas, ist ungarisch. Ich wußte sofort, wen wir vor uns hatten, nämlich den alten Wlastan mit Frau, Sohn und Knecht.
    Nichts konnte mir willkommener sein. Ich beschloß, diese Leute gar nicht so weit kommen zu lassen, das Grab zu berühren, sondern ganz kurzen Prozeß zu machen. Einige an die Gefährten gerichtete Worte genügten. Wir sprangen hervor – ein vierfacher Schrei, und jeder von uns hatte eine der vier Personen beim Kragen, ich den Knecht.
    „Nagy Isten – großer Gott!“ brüllte er auf.
    Ich riß ihn nieder und hielt ihn am Boden fest, zog das Messer und setzte ihm die Spitze desselben an die Gurgel.
    „Oh én szerencsétlen, vége mindennek – o ich Unglücklicher, es ist alles verloren!“ stöhnte er.
    Es ist eigentümlich, daß man, selbst wenn man vieler Sprachen mächtig ist, in einem solchen Augenblick sich unwillkürlich der Muttersprache bedient; so auch der Ungar jetzt. Ich durfte ihn gar nicht zum Nachdenken kommen lassen.
    „Du warst der Vampir!“ rief ich ihn an.
    „Ja“, antwortete er entsetzt.
    „Aus Rache dafür, daß die Tochter des Ziegelstreichers dich nicht leiden konnte?“
    „Ja.“
    „Du hast allabendlich hier unten an den Laden geklopft und den Geist gespielt?“
    „Ja.“
    Dieses Geständnis war eigentlich hinreichend, die drei anderen zu überzeugen; aber ich dachte daran, daß der Sohn Wlastans hinsiechte. Das konnte zwar auch nur aus Angst vor dem Vampir geschehen, aber doch kam mir die Frage auf die Zunge:
    „Und deinem jungen Herrn hast du heimlich etwas eingegeben?“
    „Gnade!“ stöhnte er.
    „Was?“
    „Ratten- und Mäusegift, aber alle Tage nur wenig.“
    „Er sollte also langsam zu Grunde gehen?“
    „Ja.“
    „Warum? Sage die Wahrheit, sonst stoße ich dir das Messer in die Kehle!“
    „Ich wollte Sohn werden“, stammelte er.
    Jetzt war mir alles klar. Die Tochter des Ziegelmachers war so erschrocken, so entsetzt nach Hause gekommen, und sie hatte noch vor ihrem Tod gesagt, daß ihr Verlobter sterben werde; aber sie hatte verschwiegen, woher sie das wußte. Ich legte dem Kerl die Hand noch fester um den Hals und fragte:
    „Die Braut deines jungen Herrn hat dich ertappt, als du ihm das Rattengift gabst, und du hast sie durch Drohung zum Schweigen gebracht?“
    War es die Angst vor meinem Messer, oder mochte er – hier in der Nähe des Grabes und infolge der beabsichtigten Leichenschänderei – meinen, es mit nicht menschlichen Wesen zu tun zu haben, kurz, er gestand:
    „Ich drohte ihr, daß ich auch ihre Eltern töten würde, wenn sie auf den Gedanken käme, mich zu verraten.“
    „Das ist genug. Kommt alle mit hinab zu dem Ziegelstreicher.“
    Ich zog den Knecht empor und zwang ihn, vor mir her den Abhang hinunterzusteigen. Die andern folgten. Keiner sprach ein Wort. Der brave Besitzer des Häuschens schlief noch nicht. Er war natürlich im höchsten Grad erstaunt, uns mit seinen Todfeinden eintreten zu sehen.
    „Hier“, sagte ich, den Knecht in die Ecke schleudernd, „hier ist der Vampir. Betrachte ihn genau. Er lebt von alten Tabakspfeifenrohren und gräbt zum Vergnügen Leichen aus.“
    Der gute Mann sah uns an, einen nach dem andern. Er brachte kein Wort hervor. Wlastan hatte die Sprache wiedergefunden. Er streckte ihm die Hände entgegen und sagte:
    „Verzeih! Wir sind betrogen worden.“
    „Wie kommt ihr hierher?“
    „Wir wollten das Grab da droben öffnen. Wir hatten den geweihten Pfahl mitgebracht, um ihn deiner Tochter in das

Weitere Kostenlose Bücher