15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
befreien – entweder durch Gewalt oder, wenn dies nicht möglich sein sollte, durch List.“
„Ich fürchte weder seine Körperkraft, noch seine Verschlagenheit. Er steckt unten in der Grube und ist gebunden. Was will er mir tun? Er kann nicht die Hand nach mir ausstrecken.“
„Aber er wird dich überreden!“
„Das wird er nicht. Ich gehöre nicht zu den leichtgläubigen Leuten und bin nicht der Mann, welcher jetzt so denkt und in fünf Minuten ganz anders. Übrigens wirst du ja dabei sein. Komm!“
Wir standen im Begriff, die den Keller verschließende Tür zu öffnen, als die Frau des Schmiedes hinzutrat, mich geheimnisvoll am Arm berührte und dabei leise sagte:
„Ich habe es gefunden, ich habe es gefunden!“
„Was?“ fragte ich, indem ich die Hand von der Tür ließ.
„Sein Gesicht, seine Narbe.“
„Du meinst wohl das Gesicht und die Narbe des Gefangenen?“
„Ja, Effendi; ich hatte beides vergessen.“
„So hast du ihn wohl bereits einmal gesehen?“
„Ja. Aber es war mir wieder entfallen. Ich habe während der ganzen Nacht darüber nachgedacht. Ich marterte mein Hirn, ohne mich besinnen zu können. Nun aber ist es mir ganz plötzlich eingefallen.“
„Komm in die andere Stube! Er könnte uns hören“, sagte ich.
Beide folgten mir in die Wohnstube, und dort sagte der Schmied im Ton der Verwunderung zu seinem Weib:
„Du hast ihn gesehen? Du hattest es vergessen, und du hast während der ganzen Nacht neben mir gesessen und darüber nachgedacht? Warum hast du mir nichts davon gesagt?“
„Ich wollte mich nicht irre machen. Hätte ich davon gesprochen, so wäre es mir gar nicht eingefallen; das dachte ich.“
„Du magst recht haben“, sagte ich. „Gut, daß du dich nun besonnen hast. Also, wo hast du ihn gesehen?“
„In Topoklu.“
„Wann?“
„Im letzten Frühjahr; bei meiner Freundin.“
„Als du in Topoklu zu Besuch warst?“ fragte ihr Mann erstaunt.
„Ja, damals.“
„Was tat er denn bei deiner Freundin?.“
„Er kaufte Schießpulver und Zündhütchen.“
Und zu mir gewendet fuhr sie fort:
„Du mußt nämlich wissen, daß der Mann meiner Freundin einen Kramladen besitzt und allerlei verkauft, was man für den Augenblick nötig hat. Ich war eingeladen worden, weil sie krank war und niemand hatte, der sie pflegen sollte. Ich saß bei ihr, und da trat jemand in den Laden und verlangte Munition. Er wollte sie sogleich probieren. Da bat ihn der Krämer dies nicht zu tun, da seine Frau krank sei und das Schießen nicht vertragen könne; aber der Mann lud dennoch seine Pistole und schoß mit der Kugel nach dem Pferdekopf des gegenüberliegenden Hauses.“
Der Bulgare liebt es nämlich, über seine Tür oder an den Firstenden, also an den Giebelwinkeln seines Hauses Pferdeköpfe oder auch die Köpfe anderer größerer Tiere, wie Rinder-, Maultier- und Mauleselköpfe, anzubringen.
Die Frau fuhr fort:
„Meine Freundin schrie bei dem Schuß vor Schreck laut auf. Er lachte und schoß noch mehrere Male. Und als der Krämer es ihm nun streng verbot, drohte er, auf ihn selbst zu schießen. Endlich bezahlte er und ging. Vorher aber sagte er, daß er eigentlich gar nicht zu bezahlen brauche, da er zu den Verschwörern gehöre.“
„Was für Leute sind das?“ fragte ich.
„Das weißt du nicht?“ meinte der Schmied.
„Ich habe es noch nie gehört.“
„Ein Verschwörer ist ein Mann, der dem Großherrn nicht gehorchen, sondern ein bulgarisches Reich mit einem eigenen, unabhängigen König haben will.“
„Darf es denn jemand wagen, sich öffentlich zu diesen Verschwörern zu bekennen?“
„Warum nicht? Der Großherr wohnt in Istambul, und je weiter du dich von dieser Stadt entfernst, desto geringer wird seine Macht. Und sieht so ein Mann sich in Gefahr, so geht er in die Berge. – Erzähle weiter, Frau!“
„Ich hatte durch die Ritzen der Rutenwand geblickt“, fuhr sie fort, „und den Menschen gesehen. Er trug ein großes Wundpflaster über der rechten Wange, und als wir dann den Krämer fragten, wer der Fremde sei, sagte er uns, daß dieser in den Bund der Unzufriedenheit gehöre und in dem Dorf Palatza wohne. Er heiße Mosklan und sei eigentlich Roßkamm, habe aber dieses Geschäft aufgegeben, um seine ganze Zeit dem Geheimbund widmen zu können. Doch bat uns der Krämer, keinem Menschen etwas davon zu sagen. Wir hörten noch, daß dieser Roßtäuscher selten zu Hause sei und sich stets unterwegs befinde.“
„Und du glaubst, ihn in unserem
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