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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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und Nebelschichten, hoch über der Erde, mit rasender, entsetzlicher Schnelligkeit. Dann fühlte ich nur, daß ich überhaupt flog, grad so, wie der Mond um die Erde wirbelt, ohne einen Gedanken, einen Willen zu haben. Es war eine unbeschreibliche Leere um mich und in mir. Nach und nach verminderte sich die Schnelligkeit. Ich fühlte nicht nur, sondern ich dachte auch. Aber was dachte ich? Unendlich dummes, ganz und gar unmögliches Zeug. Sprechen aber konnte ich nicht, so sehr ich mich auch anstrengte, einen Laut von mir zu geben.
    Nach und nach kam Ordnung in das Denken. Mein Name fiel mir ein, mein Stand, mein Alter, in welchem ich gestorben war; aber wo und wie ich den Tod gefunden hatte, das war mir nicht bekannt …
    Ich sank nach und nach tiefer. Ich wirbelte nicht mehr um die Erde, sondern ich näherte mich ihr wie eine leichte Feder, welche langsam, immer hin und her gehaucht, von einem Turm fällt. Und je tiefer ich sank, desto mehr vergrößerte sich die Erinnerung an mein nun beendetes irdisches Dasein. Personen und Erlebnisse fielen mir ein, mehr und mehr. Es wurde klarer in mir, immer klarer. Ich erinnerte mich, daß ich zuletzt eine weite Reise unternommen hatte; es fiel mir langsam ein, durch welche Länder – zuletzt war ich in Stambul gewesen, in Edreneh, hatte nach Hause gewollt und war unterwegs in einer steinernen Hütte auf einer Vorhöhe des Planinagebirges erschlagen worden. Die Mörder hatten mich auf das Lager geworfen, auf welchem vorher der Bettler gelegen hatte, und sich nachher um den Herd gesetzt und ein Feuer angezündet, über welchem irgend etwas gebraten werden sollte …
    Ich war gestorben gewesen und hatte dies doch bemerkt. Ich hatte sogar die Stimmen der Mörder gehört, ja, ich hörte sie noch, indem ich jetzt wieder zur Erde niedersank, deutlicher und immer deutlicher, je mehr ich mich ihr näherte …
    Und wunderbar! Ich sank durch das Dach der Hütte, auf das Laub des stinkenden Lagers, und da saßen sie noch, die Mörder. Ich hörte sie sprechen; ich roch den Duft von Fleisch, welches sie über dem Feuer brieten. Ich wollte sie auch sehen, aber ich konnte die Augen nicht öffnen und konnte mich auch nicht bewegen …
    War ich denn wirklich nur Seele, nur Geist? Da oben, wo ich früher den Kopf gehabt hatte, am hintern Teil desselben, brannte und schmerzte es wie eine ganze Hölle. Es war mir jetzt, als ob ich diesen Kopf noch besäße; aber er war zehnmal, hundertmal, tausendmal größer als früher und umfaßte die unterirdische Flammensee des Erdinnern, auf deren Inseln Vulkane mit Millionen von Kyklopen hämmert und schmiedet …
    Erst fühlte ich nur diesen Kopf; bald aber bemerkte ich, daß ich auch noch den Leib, die Arme, die Beine besaß. Doch rühren konnte ich kein Glied. Aber mit der größten Deutlichkeit hörte ich jedes Wort, welches dort am Feuer gesprochen wurde. Ich vernahm sogar den Hufschlag einiger Pferde. Zwei Reiter stiegen draußen ab.
    „Kalyndschi gelir – der Dicke kommt!“ sagte einer. War das nicht die Stimme des Kerls, mit dem ich bis zur Hütte geritten war? Wie kam er hierher? Er war ja weiter geritten!
    „We bir ikindschi – und noch einer!“ sagte eine andere Stimme.
    „Kim-dir – wer ist's?“
    „Jahu, bre Silahdschi Deselim Ismilandan – hallo, der Waffenschmied Deselim aus Ismilan!“
    Ich hörte, daß die Insassen der Hütte hinauseilten und die beiden Angekommenen unter lebhaften Freudenrufen begrüßten.
    „Achmaki tut-diniz – habt ihr den Dummkopf gefangen?“ fragte draußen eine fette Stimme.
    Ich kannte sie; es war diejenige des dicken Färber-Bäckers aus Dschnibaschlü. Was denn? Meinte er mit diesem Dummkopf etwa mich? Könnte ich diesen Menschen so ein wenig zwischen meine Hände bekommen, ich würde ihn – – – ah, ich konnte jetzt plötzlich die Finger zur Faust ballen! Was doch der Ärger vermag!
    „Ewwet, aldat-dik onu – ja, wir haben ihn übertölpelt.“
    Diese Worte sagte der Bettler. Meine Kugel hatte ihn also nicht getroffen.
    „Gene nerde dir – wo ist die Schaflaus?“
    Das war stark! Wenn der Deutsche in handgreiflichster Weise einen recht dummen Menschen bezeichnen will, so nennt er ihn einen Schafskopf. Der Türke bedient sich zuweilen des Wortes Kojundschi, welches ungefähr Schafskerl bedeutet. Mich aber hielt der gegenwärtige Sprecher für so unendlich albern, daß das Wort Kojundschi noch eine unverdiente Ehre für mich gewesen wäre. Er nannte mich also Gene, das ist

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