15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
hat er diese Färbung infolge einer Gelbsucht erhalten. Schut-a ist das serbische Femininum von Schut und bedeutet natürlich die ‚Gelbe‘.
Also diese Schut-a, die Frau dieses Skipetaren, war eine Verwandte meines Kiaja. Das gab mir natürlich sehr zu denken. Doch konnte es mir nicht einfallen, ihn wissen zu lassen, was ich schloß und folgerte.
„Hast du noch etwas zu sagen?“ fragte ich den Mann.
„Nein. Bist du nicht zufrieden?“
„O doch. Aber wie kommt es, daß du deinen Vorgesetzten gegen mich verrätst?“
„Effendi, er ist kein guter Mensch. Keiner hat ihn lieb, und alle leiden unter seiner Ungerechtigkeit.“
„Weiß noch jemand, daß du mit mir sprichst?“
„Nein. Ich bitte dich, es keinem zu sagen.“
„Ich werde schweigen.“
Nach dieser Versicherung wollte ich abbrechen, da aber fiel mir ein, daß ich beinahe etwas sehr Notwendiges unterlassen hätte.
„Bist du in Ismilan bekannt?“ fragte ich.
„Ja.“
„So kennst du auch wohl den Schwager des Kiaja, von dem du behauptest, daß seine Schwester das Weib des Skipetaren sei?“
„Ja, ich kenne ihn.“
„Was ist er?“
„Er ist Silahdschi (Waffenschmied) und hat zugleich ein Kahwehane (Kaffeehaus, Kaffeestube), wo seine Waffen zum Verkauf aushängen.“
„Wo wohnt er?“
„In der Gasse, die nach dem Dorf Tschatak führt.“
„Ich danke dir! Aber nun schweige auch du, so wie ich verschwiegen sein werde.“
Jetzt nun ging ich nach dem Innern des Hauses zurück. Den Mienen des Kiaja und des Nachtwächters sah ich es nicht an, ob sie errieten, daß meine Entfernung eine ihnen feindliche Ursache gehabt habe. Halef zog sich augenblicklich zurück.
„Nun“, fuhr ich in dem unterbrochenen Gespräch fort, „möchte ich gern wissen, was dieser frühere Steuereinnehmer von Uskub bei dir gewollt hat.“
„Er erkundigte sich nach dem Weg“, antwortete Kiaja.
„Wohin?“
„Nach Sofala.“
Sofala lag grad gegen Süden, während ich überzeugt war, daß die drei Flüchtigen nach West geritten seien. Dieser brave Kiaja wollte mich also von der richtigen Bahn ablenken. Ich ließ ihn natürlich nicht merken, daß ich seinen Worten keinen Glauben schenkte, und fragte:
„Nicht wahr, Manach el Barscha kam von Edreneh?“
„Ja.“
„So ist er von dort aus über Samanka, Tschingerli und Ortakiöj grad nach West geritten und nun hier ganz plötzlich nach Süd umgebogen. Wenn er nach Sofala wollte, konnte er doch sofort über Tatar, Ada, Schahandscha, Demotika und Mandra südlich reiten. Warum hat er infolge dieses Winkels, dieser Ecke einen Umweg von mehr als sechzehn Reitstunden vor sich gelegt?“
„Ich habe ihn nicht gefragt.“
„Und ich kann es nicht begreifen.“
„Er darf sich nicht sehen lassen. Man will ihn fangen. Vielleicht hat er die Zabtieh (Polizei) irre leiten wollen.“
„Das ist möglich.“
„Du suchst ihn auch? Du willst ihn fangen?“
„Ja.“
„So mußt du der Richtung folgen, die ich dir angegeben habe.“
„Es ist sehr gut, daß du mir dies gesagt hast. Wohnt in dieser südlichen Richtung kein Verwandter oder Bekannter von dir, an den ich mich nötigenfalls wenden könnte?“
„Nein.“
„Aber Verwandte hast du doch?“
„Nein.“
„Keine Eltern?“
„Nein.“
„Keinen Bruder, keine Schwester?“
„Auch nicht.“
Das war eine Lüge. Und der Wächter, welcher jedenfalls die Verhältnisse seines Dorfobersten kannte, machte keine Miene, mir die Wahrheit zu verraten. Diese beiden Menschen sahen mich für einen sehr hohen Herrn an; dennoch täuschten sie mich. Ich, der ich doch nur ein Fremder war, ganz allein auf mich selbst angewiesen, hatte natürlich nicht die mindeste Macht gegen sie in den Händen. List war es allein, die ich anwenden konnte, und diese bestand hier auch nur darin, daß ich mir den Anschein gab, als ob ich den Worten des Kiaja Glauben schenke. Ich zog mein Notizbuch aus der Tasche, blätterte darin, so tuend, als ob ich etwas suche, machte dann eine Miene, wie wenn ich das Gesuchte gefunden hätte, und sagte:
„Ja, es ist richtig: der Stareschin von Bu-kiöj, ein harter, rücksichtsloser und ungerechter Beamter. Dazu kommt, daß du Flüchtlinge entkommen läßt, anstatt sie festzuhalten. Man wird dir – – –“
„Hart? Rücksichtslos? Ungerecht?“ unterbrach er mich. „Effendi, es ist ganz unmöglich, daß ich gemeint bin!“
„Wer anders denn? Ich habe heut keine Zeit, mich länger mit dir zu befassen; aber du kannst dich darauf
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