15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan
überholst?“
„So warte ich auf ihn.“
„Wirst du denn erfahren, ob er vor oder hinter dir ist?“
„Ich hoffe es.“
„Aber du kennst diese Gegend nicht. Du kannst also sehr leicht in die Irre reiten; es kann dir ein Unglück widerfahren. Nimm mich mit, Sihdi!“
„Habe kein Sorge, mein lieber Halef! Ich bin ja gut beritten und ebenso gut bewaffnet. Dich kann ich unmöglich mitnehmen, da du doch der Anführer der übrigen sein mußt.“
Das schmeichelte seinem Stolz. Er willigte also in meinen Plan, und so gab ich ihm, Osco und Omar meine Weisungen. Da hierbei alle Möglichkeiten berücksichtigt und besprochen werden mußten, so hatten wir während einiger Zeit keine Acht auf die beiden Khawassen. Als ich mich dann zu diesen umdrehte, sah ich wohl den Reitkünstler-Korporal, nicht aber seinen Kameraden.
„Wo ist dein Gefährte?“ fragte ich erstaunt.
Er wendete sich auch um und rief dann bestürzt:
„Effendi! Er ritt hinter mir!“
Seine Bestürzung war keineswegs erheuchelt. Ich sah seinem Gesicht an, daß er sich wirklich in dem Glauben befunden hatte, den Kameraden hinter sich zu haben.
„Aber wo ist er denn?“ fuhr ich fort.
„Verschwunden, verdunstet, verloren, vernichtet, verwischt, verdaut!“ antwortete er in seiner unbeschreiblichen Verblüffung.
„Aber du mußt doch gemerkt haben, daß er zurückgeblieben ist!“
„Wie soll ich das merken? Hast denn du es gemerkt? Ich werde sofort zurückeilen, um ihn zu holen!“
Er machte Miene, diesen Vorsatz auszuführen. Auf diese Weise hätte auch er sich vorteilhaft nach rückwärts zu konzentrieren vermocht.
„Halt!“ sagte ich aber. „Du bleibst! Wir haben keine Zeit, diesen Ausreißer zu suchen oder zu warten, bis du ihn gefunden hast!“
„Aber er soll doch mitreiten!“
„Das mache du später mit ihm ab, wenn du wieder in Edreneh bist! Jetzt folgst du uns! Hadschi Halef Omar, habt, wenn ich fort bin, auf diesen Onbaschi ein wachsames Auge, damit er seine Pflicht erfülle!“
Jetzt ließ ich den Rappenhengst laufen und konnte schon nach kurzer Zeit die andern nicht mehr hinter mir erblicken.
In jener Gegend sind die Flecken nach bulgarischer Weise angelegt. Ein Bulgarendorf oder Celo liegt sehr oft von der Landstraße, oder was man mit diesem Namen zu bezeichnen beliebt, entfernt und folglich unsichtbar für die Mehrzahl der Reisenden. Gewöhnlich dehnt sich der Celo der Länge nach auf einer Prärie am Rande eines Baches aus, der ihm als Graben und natürliches Schutzmittel dient.
Jedes dieser Dörfer, die ziemlich eng aufeinander folgen, zählt nur wenige Höfe, welche durch Grasplätze voneinander getrennt sind. Sechs bis zehn Hütten bilden einen Hof. Diese Hütten werden entweder in die Erde gegraben und mit einem kegelförmigen Dach von Stroh oder Zweigen versehen, oder man errichtet sie aus Weidengeflecht, in welchem Fall sie das Aussehen von großen Körben besitzen. Jeder und jedes hat seine abgesonderte Wohnung in diesen Höfen. Es gibt Hütten für die Menschen, für die Pferde, die Rinder, die Schweine, die Schafe und die Hühner. Die Tiere verlassen beliebig ihre Wohnungen und wandern friedlich zwischen den Höfen umher.
Westeuropäische Chausseen gibt es nicht. Schon das Wort Straße sagt viel zu viel. Will man von einem Celo zum andern, so sucht man sogar meist vergebens nach der Verbindung, welche wir einen Pfad oder Weg zu nennen gewöhnt sind. Wer fremd ist und ein nicht ganz und gar nahes Ziel verfolgt, muß, falls er von dem Ochsenkarrengleis, welches hier als Straße gilt, abweichen will, den Instinkt des Zugvogels besitzen und ist doch schlimmer daran, als dieser, da der Vogel die Luft ungehindert nach jeder Richtung durchstreichen kann, dem Menschen sich hier aber hundert Hindernisse in den Weg legen.
Ich beging wirklich ein Wagnis, als ich von dem nach Adatschaly führenden Weg abwich. Ich wußte nur, daß Mastanly ziemlich genau in südwestlicher Richtung lag, und konnte mich auf unüberbrückte Bäche, unbequeme Täler und waldige Strecken gefaßt machen.
Zwischen nicht sehr zahlreichen Feldern und Rosengärten und über sonnverbrannte Grasflächen hin gelangte ich an mehreren Dörfern vorüber, bis ich doch endlich das Bedürfnis fühlte, mich zurecht zu fragen.
Hinter einem urwüchsig aus Weidenruten gezogenen Zaun sah ich einen alten Mann beschäftigt, Rosenblätter einzusammeln. Ich lenkte das Pferd an den Zaun und grüßte. Er hatte mein Kommen nicht bemerkt und erschrak, als er meine
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