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15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan

Titel: 15 - Im Schatten des Grossherrn 04 - In den Schluchten des Balkan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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verlassen, daß eine jede Ungerechtigkeit ihre sichere Strafe findet. Hast du gehört, was der Prophet von den Ujuhn Allah (Augen Gottes) gesagt hat?“
    „Ja, Emir“, antwortete er kleinlaut.
    „Sie sind schärfer als das Messer, welches dir in das Herz dringt, um dich zu töten. Sie dringen tiefer; sie dringen in die Seele, und vor ihnen kann kein Leugnen bestehen. Denke immer an diese Augen des Allwissenden, sonst wird es dir schlimmer ergehen, als einem 'abid elaßnam (Heiden) trotz der Ssalawat (Gebete), welche du pünktlich einzuhalten gewohnt bist! Ich gehe. Allah lenke die Gefühle deines Herzens und die Gedanken deines Kopfes! Allah jusellimak – Gott behüte dich!“
    Er verneigte sich tief und ehrerbietig und antwortete:
    „Nesinin sa'id – deine Jahre seien gesegnet!“
    Der Nachtwächter verbeugte sich so tief, daß sein Gesicht fast den Boden berührte, und sagte türkisch:
    „Akibetiniz chajir ola Sultanum – möge Ihr Ende gut sein, mein Herr!“
    Er gab mir also den Plural anstatt den Singular, eine große Höflichkeit; doch als ich durch die Tür hinaustrat, hörte ich den Kiaja, welcher mir soeben erst gesegnete Jahre gewünscht hatte, leise und ingrimmig murmeln:
    „Ingali 'min hon.“
    Es bedeutet das so ziemlich dasselbe, was in gebräuchlicherem Arabisch ausgedrückt wird: ‚ruh lildschehennum – geh' zum Teufel!‘ Es war also wohl vorauszusehen, daß meine an ihn gerichtete fromme Ermahnung von keinem großen Nutzen sein würde.
    Ich stieg wieder auf, und wir ritten zum Dorf hinaus, aber nicht in westlicher, sondern in südlicher Richtung. Erst als wir nicht mehr gesehen werden konnten, bogen wir wieder in den Weg ein, welcher uns nach Geren, einem ungefähr anderthalb Stunden entfernten Dorf, führen mußte.
    Jetzt erst bemerkte ich, daß wir nur noch zwei Khawassen bei uns hatten.
    „Wo ist dein Untergebener?“ fragte ich den Khawaß-Baschi.
    „Er ist zurück nach Edreneh.“
    Das antwortete er so ruhig, als ob es sich um etwas ganz und gar Selbstverständliches handle.
    „Warum?“
    „Er konnte uns nicht länger folgen.“
    „Und weshalb denn?.“
    „Er hatte den basch dömnessi gölin (‚Seeschwindel‘ = Seekrankheit). Er konnte es nicht länger mehr aushalten.“
    „Wie kommt er denn zu diesem Schwindel?“
    „Weil sein Pferd gelaufen ist“, antwortete er ernsthaft.
    „Du sagtest ja, ihr könntet so fein reiten!“
    „Ja; aber man muß das Pferd stehen bleiben lassen. Wenn es läuft, so wankt und wackelt und schaukelt es zum Erbarmen. Das vermag doch nur der Magen eines Kassak russialy (Kosake) auszuhalten. Meine Badschirsak (Eingeweide) sind verschwunden; sie sind weg; sie sind bis hinunter in diejenigen des Pferdes gerutscht; ich fühle sie nicht mehr; ich fühle nur noch den Schalwar (Hose), welcher mir da festklebt, wo ich mir meine gute, eigene Haut hinweggeritten habe. Wäre ich derjenige, der den Teufel zu bestrafen hat, so würde ich ihn verurteilen, mit euch nach Menlik zu reiten. Er würde ohne Haut und Knochen dort ankommen und lieber im stärksten Feuer der Hölle sitzen, als auf diesem Pferd.“
    Das war eine Klagerede, über welche wir andern zwar lachen mußten, doch tat mir der Mann immerhin leid. Er machte ein gar zu jämmerliches Gesicht. Seine Haut war ihm trotz der kurzen Zeit, während welcher er auf dem Pferd saß, an einigen Stellen abhanden gekommen. Seinem Kameraden erging es jedenfalls nicht besser, denn er murmelte in den Bart hinein:
    „Wallahi, öjle dir – bei Allah, es ist so!“
    Mehr als diesen Stoßseufzer ließ er zwar nicht hören, aber seinem Gesicht war es deutlich anzusehen, daß er ganz denselben körperlichen Empfindungen wie sein Vorgesetzter unterworfen war.
    „Wer hat ihm denn die Erlaubnis gegeben, umzukehren?“ fragte ich den letzteren.
    „Ich“, antwortete er, ganz erstaunt, daß ich überhaupt so fragen könne.
    „Ich denke aber, daß ich es bin, den er hätte fragen sollen!“
    „Du? Effendi, bist du Khawaß-Baschi, oder bin ich es?“
    „Natürlich bist du es; aber du weißt doch wohl, wessen Befehle du jetzt zu vollbringen hast!“
    „Die Befehle des Kadi. Dieser aber hat mir nicht befohlen, in den Rücken dieses Pferdes ein solches Loch zu reiten, daß ich schließlich nur noch mit dem Kopf herauszugucken vermag. Ich will singen und lobpreisen wie ein Engel, wenn ich wieder in Edreneh in meiner Kaserne liege!“
    Da meinte der kleine Hadschi:
    „Kerl, wie kannst du so unehrerbietig mit meinem

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