150 - Aufbruch in die Silberwelt
Schein ab. Sie beleuchtete unsere Gesichter, wir sahen aus wie Gespenster.
Ich wußte von Cnahl, daß Cardia sehr oft die Kugel befragte, wenn sie von einer Welt auf eine andere gelangen wollte. So fand sie zumeist den kürzesten und oft auch ungefährlichsten Weg, während andere Reisende erst nach langer, mühsamer Suche fündig wurden.
In der Kugel zogen Wolken auf, die sich ständig bewegten und sich schließlich gegen das Glas drückten. Irgend etwas entstand in der Zauberkugel.
Ich nahm hastig einen Schluck vom Pernod und beugte mich vor, um eventuell Einzelheiten erkennen zu können.
»Was ist das?« fragte Sammeh.
»Sieht aus wie ein Baum«, sagte Mr. Silver.
»Pst!« machte Cnahl. »Seid still. Ihr stört Cardias Konzentration.«
Der Ex-Dämon hatte recht. Es befand sich tatsächlich ein Baum in der Glaskugel. Cardias Hände ruhten nicht mehr auf der Kugel, sondern lagen daneben.
Ein Baum, dachte ich grimmig. Sehr schön. Und was weiter? Wo ist das Tor?
Das Bild in der Kugel wurde allmählich deutlicher. Es war so, als würde man an Okularen drehen und die Sehschärfe damit verbessern. Überdeutlich hatten wir jetzt alle den Baum vor uns.
Cardia fixierte das Bild, so daß es auch dann bleiben mußte, als sie damit nicht mehr in Verbindung stand.
»Ein herrlicher Baum, prachtvoll gewachsen«, sagte ich sarkastisch. »Eiche, vermute ich. Jeder Botaniker würde wahrscheinlich vor Freude im Dreieck springen, wenn er ihn sieht, aber meine Freude hält sich in Grenzen. Du wolltest uns ein Zeittor zeigen, Cardia. Und was bekommen wir statt dessen zu sehen? Eine alte, knorrige Eiche.«
»Unter der sich das Zeittor befindet«, behauptete die Wahrsagerin.
Ich riß die Augen auf. »Tatsächlich? Du hast das Tor gefunden?«
»Seht mal!« rief der kleinwüchsige Sammeh aus und wies auf die Kugel. »An dem Baum hängt etwas.«
»Eine alte Frau«, bemerkte Metal. »Sie wurde aufgeknüpft!«
***
»Tot?« kieckste Jennifer Shore. »Um Himmels willen, du hast den Mann totgefahren! 24 Stunden ist dein Führerschein erst alt, und es gibt bereits die erste Leiche!«
»Was soll denn der Blödsinn?« herrschte Mark Cronenberg seine Freundin an. »Was heißt die erste Leiche ? Denkst du, jetzt liefere ich alle 24 Stunden einen Toten?«
Cronenberg schlug mit der Faust wütend und verzweifelt auf den Boden. »Verdammt! Verdammt! Verdammt! Warum muß ich soviel Pech haben? Warum konnte der Typ nicht in einen anderen Wagen torkeln? Warum mußte er sich ausgerechnet meinen aussuchen?«
»Wie kannst du nur so gefühlsroh sein, Mark?«
»Ich habe einen Toten am Hals, mein schöner neuer Wagen ist hin, sie werden mir meinen Führerschein wegnehmen… Was erwartest du von mir? Daß ich vor Freude Purzelbäume schlage?«
Cronenberg richtete sich auf. Es zuckte in seinem Gesicht. Er starrte auf den Mann, der sich nicht mehr regte, und sagte heiser: »Ich fahre weiter!«
»Du willst Fahrerflucht begehen? Bist du verrückt?«
»Dann behalte ich wenigstens meinen Führerschein.«
»Da spiele ich nicht mit, Mark!«
»Hör mal, Jennifer, werd jetzt nicht hysterisch!«
»Wenn du weiterfährst, was wird dann aus dem Mann?« fragte das Mädchen schrill.
»Was weiß ich. Dem kann sowieso keiner mehr helfen. Es wird sich jemand anders um ihn kümmern – oder ich kann die Polizei anonym anrufen…«
»Es ist schon schändlich, daß du dieses Verbrechen überhaupt in Erwägung ziehst!« schrie Jennifer empört. »Aber daß du mich auch noch mit hineinziehen willst, verzeihe ich dir nie!«
Cronenberg zündete sich eine Zigarette an, um sich zu beruhigen. Nach mehreren tiefen Zügen fuhr er sich mit dem Handrücken über die Augen.
»Mein Gott, ich bin völlig durcheinander«, stöhnte er. »Du darfst nicht ernst nehmen, was ich vorhin gesagt habe. Ich hatte nicht wirklich die Absicht, mich vor der Verantwortung zu drücken.«
»Wer ist der Mann?« fragte das Mädchen leise. »Sieh mal nach, ob er Papiere bei sich hat.«
Es kostete Cronenberg einige Überwindung, den Unbekannten auf den Rücken zu drehen und seine Taschen zu durchsuchen.
»Kein Ausweis, keine Brieftasche, keine Kreditkarte – nichts«, stellte Cronenberg fest. »Ich sage dir, das ist ein Selbstmörder. Es ließ seine Papiere zu Hause und stürzte sich vor meinen Wagen. Und ich Idiot tat ihm den Gefallen, ihn zu überfahren. Ich bin ein Pechvogel.«
»Er hatte mehr Pech als du.«
»Wieso denn?«
»Er ist tot«, sagte Jennifer.
»Das bezweckte er ja«,
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