1500 - Der Albino
Dort kam er sich zu eingeengt vor. Er trat in den Gastraum und blieb zwischen den Tischen stehen, an denen noch immer die Gäste saßen und sich nicht verändert hatten. Von seinem Platz aus sah er auch die zweite Tür, hinter der die Treppe lag.
Von den drei Hauptpersonen war nichts mehr zu sehen. Wobei sich Suko um seinen Freund John am wenigsten Sorgen machte.
Auch dieser Bubi war nicht mehr zu sehen, nach dem die Wirtin fragte.
»Er scheint oben zu sein.«
»Mein Gott, das ist schlimm.«
»Was ist er eigentlich«, fragte Suko, »oder in welch einer Beziehung stehen Sie zu ihm?«
Die Wirtin setzte ihr Glas ab. Mit leiser Stimme gab sie die Antwort. »Bubi ist, wenn man das so sagen kann, ein armes Schwein. Verstoßen von seiner Mutter, aufgewachsen in einem Heim, wo ihn die anderen Kinder und die Erzieher fertigmachten, weil er anders ist. Er ist schwul. Dann sieht er noch entsprechend aus.« Sie winkte ab. »Egal, Bubi ist abgehauen. Er verirrte sich dann hier in diese Gegend. Ich fand ihn, und sein Schicksal rührte mich. Dann habe ich mich eben um ihn gekümmert. Er ist bei mir geblieben.«
»Da wird Bubi Ihnen wohl dankbar sein.«
»Aber verraten Sie mich nicht an Ihre Kollegen. Ich habe in dem Jungen auch eine große Hilfe.«
»Keine Sorge, das ist schon in Ordnung«, sagte Suko.
»Danke.«
Der Inspektor kam wieder auf das eigentliche Thema zurück. Er wies dabei zur Decke. »Wie viele Zimmer befinden sich dort oben?«
»Meine Wohnung und zwei einzelne Zimmer, von denen eines Bubi bewohnt.«
»Ähm – Maggie Crane hat mit uns gesprochen und berichtete von einem Zimmer, in das Lucio sie mit hochgenommen hat. Steht der Raum leer oder nur zu besonderen Zwecken zur Verfügung?«
Rose senkte den Blick. »Im Prinzip steht der Raum leer. Aber wenn ihn jemand braucht, habe ich nichts dagegen. Er zahlt mir einen kleinen Obolus und…« Sie lächelte. »Na ja, Sie wissen schon.«
»Natürlich. Dann ist Lucio also mit Maggie hochgegangen.«
»Ja, gestern.«
»Und Sie kennen Lucio?«
»Hier kennt den Albino jeder. Er ist zwar kein Stammgast, dafür aber bekannt wie ein bunter Hund. Er erscheint hin und wieder, um etwas zu trinken oder um sich zu amüsieren.«
Suko stellte eine weitere Frage. »Und was steckt hinter ihm? Ich meine, welch eine Vergangenheit hat er?«
Rose Nelson hob die Schultern. »Das kann ich Ihnen nicht sagen, Inspektor.« Sie deutete auf die anderen reglosen Gäste. »Sie alle haben dieses Lokal als Stammkneipe. Aber wenn Sie mich fragen, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten, muss ich passen. Einige haben Arbeit, die meisten nicht, doch für mich ist nur wichtig, dass sie ihre Rechungen bezahlen können, und das tun sie in der Regel.«
»Klar.«
Die Wirtin seufzte. »Nur dieser andere Glatzkopf«, flüsterte sie.
»Mit dem habe ich meine Probleme. Ich habe ihn auch vorher nie gesehen. Er hat die Menschen in seine Gewalt gebracht, und das sehe ich einfach als ganz schrecklich an. Es kommt mir vor, als wäre ich von lauter Toten umgeben, die darauf warten, beerdigt zu werden.«
»Das kann ich nachvollziehen. Nur können Sie beruhigt sein, Rose. Keiner von ihnen ist tot. Sie alle befinden sich im Zustand der Hypnose.«
»Können Sie die nicht lösen?«
Suko wiegte den Kopf. »Das wird schwer sein. Ich persönlich wahrscheinlich nicht. Da müsste man schon Spezialisten hinzuziehen, aber ich bin da kein Fachmann.«
Die Wirtin strich über ihr Gesicht. »Mein Gott, das hört sich schlimm an. Ich frage mich auch, warum das geschehen musste. Das ist alles etwas, was ich nicht begreife. Sie denn?«
»Im Moment habe ich damit tatsächlich meine Probleme, Rose. Es wird derjenige wissen, der es getan hat, und ich denke mal, dass er sich hier erneut blicken lässt.«
»Dann will ich nicht…« Rose Nelson verstummte. Sie schaute zur Decke und bekam große Augen.
Auch Suko war das Geräusch nicht entgangen. Es hatte sich angehört, als wäre etwas mit großer Wucht auf den Zimmerboden geschlagen.
»Da ist Ihr Kollege und…«
Suko stoppte ihre weiteren Worte mit einer scharfen Handbewegung, denn er hatte etwas gesehen.
An der Tür bewegte sich die Klinke.
Nicht so forsch, als wäre ein Stammgast dabei, die Kneipe zu betreten. Das hier ging langsamer. Es musste also ein Mensch sein, der vielleicht zum ersten Mal kam.
Beide hielten den Atem an.
Nur spaltbreit öffnete sich die Tür. Suko wechselte seinen Standort, damit er besser sehen konnte.
Drei Sekunden später hatte er
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