1500 - Der Albino
ab. Es floss nicht so viel Wasser wie bei einer normalen Dusche. Der Druck war weitaus geringer.
Genau deshalb fiel ihr auch eine gewisse Veränderung auf, die sie allerdings mehr unbewusst wahrnahm.
Sie stellte die Dusche nicht ganz ab. Sie brauchte ein paar Hintergrundgeräusche, um den Bleichen nicht aufmerksam werden zu lassen.
Die Kabine bestand aus zwei verschiebbaren Wänden, die auf Schienen aufeinander zu liefen. Sie waren ganz leicht in Bewegung zu setzen. Sie musste nur achtgeben, dass das Auseinanderschieben nicht mit zu lauten Geräuschen verbunden war, denn auf keinen Fall wollte sie Aufmerksamkeit erregen.
Sie brauchte nur einen schmalen Spalt, um hinauszuschauen.
Der Blick ins Zimmer!
Alles war klar – bis auf eine Tatsache, die ihr beinahe den Atem raubte. Lucio war nicht mehr allein. Vor ihm stand ein zweiter Mann, der sein Bruder hätte sein können…
***
Maggie hatte den Wasserhahn halb zugedreht. Es tröpfelte nur auf ihren Rücken, doch daher stammte die Kälte nicht, die plötzlich eine zweite Haut auf ihrer eigenen bildete.
Beide Männer standen sich gegenüber. Der Albino reagierte nicht.
Er schien auf der Stelle eingefroren zu sein. Er trug noch seine schwarze Kleidung, nur den Hut hatte er abgelegt. Er drehte Maggie den Rücken zu, und so war es ihr nicht möglich, seinen Gesichtsausdruck zu sehen.
Sie konnte sich allerdings vorstellen, dass dieser Lucio nicht eben erfreut war. Dieser hellhäutige Mensch wirkte, als wäre er zu Eis erstarrt.
In den folgenden Sekunden passierte nichts. Die beiden Männer schauten sich nur an. Der Neuankömmling hatte ebenfalls einen kahlen Kopf, aber war nicht bleich wie der Albino. Seine Haut wirkte anders, obwohl sie schlecht zu beschreiben war.
Maggie sah auch sein Gesicht. Die glatte Stirn, das ebenfalls glatte Kinn, Wangen, die rund wirkten, und sie sah für einen Moment seine Augen.
Die nackte Frau erschrak!
Es waren Augen, die sie einfach nur erschrecken konnten, die von einer absoluten Bosheit erfüllt waren. Maggie hatte das Gefühl, in die Tiefen der Hölle zu schauen. Eine eisige Kälte war in dem Blick, mit dem er Lucio anschaute.
Der Fremde sprach. »Ich habe dich gesucht, mein Freund, und ich habe dich gefunden. Du bist perfekt. Die Natur ist wirklich großzügig zu dir gewesen. Ich freue mich wahnsinnig, dass ich dir gegen überstehe. Besser kann es nicht sein.«
Maggie rechnete damit, dass der Albino eine Frage stellen würde.
Das verkniff er sich. Entweder konnte oder wollte er nicht, und Glatzkopf Nummer zwei nickte, bevor er sagte: »Es ist so weit. Ich werde dich jetzt mitnehmen.«
»Ja!« lautete die Antwort.
Maggie wunderte sich, dass Lucio so einfach zustimmte. Er tat nichts, um sich zu wehren. Er schien sich in sein Schicksal gefügt zu haben, und genau das wunderte Maggie, denn sie hatte Lucio für weitaus stärker gehalten.
»Du wirst etwas völlig Neues erleben, mein Freund, und wenn wir dich wieder zurückschicken, wird die Welt für dich anders aussehen. Du siehst sie dann mit völlig anderen Augen an, und es wird dir gefallen, das schwöre ich dir.«
»Daran glaube ich auch.«
»Sehr gut, mein Freund, sehr gut. Es wird alles in unserem Sinne laufen. Du wirst jubeln, du wirst dich in den Tiefen der Finsternis zurechtfinden und dich auf die Jagd begeben. Das alles verspreche ich dir und werde es auch halten.«
»Und wann wird es so weit sein?« fragte der Albino.
»Jetzt…«
Maggie stand noch immer unbeweglich in der Duschkabine. Sie konnte nicht begreifen, was sie da gehört hatte.
Der Neue ging auf Lucio zu.
Er brauchte nur einen Schritt weit zu gehen, weil die beiden sehr dicht voreinander standen. Er hatte es tun müssen, um dem Albino beide Hände auf die Schultern legen zu können.
Und dann passierte etwas, was Maggie einfach nicht begreifen konnte. Es dauerte nicht lange, es vergingen höchstens drei oder vier Sekunden, und in dieser Zeitspanne passierte etwas, das Maggie an ihren eigenen Verstand zweifeln ließ.
Die beiden Männer lösten sich auf.
Sie sah nur für einen winzigen Moment ihre beiden Umrisse, dann gab es sie nicht mehr, und die Stelle, auf der sie eben noch gestanden hatten, war leer…
***
Maggie blieb weiterhin in der Dusche. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie stand reglos da und schien mit dem Boden der Dusche verwachsen zu sein. Bis sie merkte, dass ihr verdammt kalt wurde. Ein kalter Schauer rann über ihren Rücken. Sie fing an zu zittern, und plötzlich
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