1506 - Eine Welt der Linguiden
einerseits unordentlich und wirr. Aber es ist auch nicht ohne Reiz. Es scheint, als wüßte jeder Linguide von sich aus, was er zu tun hat, und als hätte auch keines dieser Wesen das Bedürfnis, etwas zu unternehmen, was sich gegen die Allgemeinheit richten könnte."
„Das kann man auch von jeder Ameise behaupten!"
„Trotzdem ist es bei den Linguiden etwas ganz anderes. Sie haben durchaus eigene Interessen.
Sie sind sogar ausgesprochene Individualisten. Die Freiheit des einzelnen bedeutet ihnen sehr viel. Nur scheint es bei ihnen keine gravierenden Unterschiede zwischen den Interessen des Individuums und dem Wohl der Allgemeinheit zu geben. Sie passen allesamt in dieses System hinein - und wahrscheinlich ist es sogar schon ein Fehler, es überhaupt als ein System zu bezeichnen. Denn das ist es vermutlich gar nicht."
„Was ist es dann? Ein Kollektivbewußtsein?"
„Nein, mit Sicherheit nicht. Es ist etwas, das wir bisher nicht gekannt haben. Darum ist es auch so schwer zu durchschauen und zu beschreiben."
„Es könnte natürlich auch eine Täuschung sein", meinte Reginald Bull nachdenklich. „Die Linguiden dürften sehr genau wissen, welchen Ruf sie bei den Blues genießen - sie haben ihn sich ja selbst aufgebaut. Ihnen wird auch klar sein, daß sie dieses Bild sehr leicht ruinieren können. Die Funksprüche könnten unter diesem Aspekt abgefaßt beziehungsweise überarbeitet werden."
„Das wäre möglich" ?gab Tamosh zu. „Aber du glaubst nicht daran."
Der Akone wirkte ziemlich ratlos. „Um ehrlich zu sein: Ich weiß auch nicht, was ich davon halten soll", sagte er. „Es klingt alles sehr gut, aber ..."
„Es klingt zu gut", nickte Reginald Bull grimmig.
*
Salaam Siin hatte sich in der HARMONIE vergraben und frönte seinen Studien. Bei ihm konnte man sogar davon ausgehen, daß ihm diese Arbeit Spaß machte.
An und für sich war der Ophaler kein ausgesprochenes Sprachgenie, aber die äußerst musikalische Sprache seines Volkes wies in zumindest einem Punkt eine gewisse Parallele zu den geheimnisvollen Künsten der Linguiden auf: Sie konnte ungemein überzeugend wirken.
Bei den Ophälern war es eine psionische Komponente, die diesen Effekt erzeugte. Man nahm an, daß es im Falle der Linguiden auch nichts anderes war. Daher meinte man, daß Salaam Siin besonders gut dazu geeignet war, den Rätseln der linguidischen Sprache auf den Grund zu gehen.
Salaam Siin selbst dachte das auch und setzte all seinen Ehrgeiz darein, entsprechende Ergebnisse zu liefern.
Aber leider schien auch er auf der Stelle zu treten, und weil ihn das wurmte, machte er sich schlicht und einfach unsichtbar. Er hatte offenbar auch gar nicht die Absicht, wieder zum Vorschein zu kommen, bevor er einen handfesten Erfolg präsentieren konnte.
Es war sehr schwer, ihn zu Gesicht zu bekommen. Als er endlich doch auf Reginald Bulls Bitten reagierte, wirkte er geistesabwesend und zerstreut. „Was willst du?" erkundigte er sich ungnädig und mischte einen Paukenschlag in diese Frage - einen ophalischen Fluch, wie Bull haarscharf schlußfolgerte. Salaam Siin pflegte jedoch auf Fragen nach einer wortgetreuen Übersetzung solcher Töne prinzipiell nicht zu antworten, und es wäre mehr als unhöflich gewesen, in dieser Angelegenheit einen Translator zu Hilfe zu nehmen. „Wie weit sind deine Forschungen gediehen?" fragte Bull. „Du meinst die Sprache der Linguiden?"
„Was denn sonst?"
„Diese Sprache ist melodiös und einschmeichelnd", teilte Salaam Siin auf seine musikalische Art und Weise mit. „Sie ist keineswegs kompliziert. Es ist nicht schwer, sie zu erlernen. Aber ob und wie man irgend jemanden damit beeinflussen kann, kann ich nicht sagen. Wenn ich nicht wüßte, daß da irgend etwas sein muß, wäre ich nie im Leben auf die Idee gekommen, irgend etwas Ungewöhnliches am Lingo zu vermuten."
„Also keine Besonderheiten?" fragte Reginald Bull mißmutig. „Das habe ich nicht gesagt", summte Salaam Siin milde. „Hör zu, mein Lieber", knurrte Bull ärgerlich. „Ich habe keine Zeit für solche Spielchen. Sage mir, was du weißt, oder laß es bleiben!"
„Ich kann meine Arbeit später fortsetzen", verkündete Salaam Siin nach kurzem Überlegen in gedämpftem Moll.
Bull starrte den Ophaler erwartungsvoll an. „Die Linguiden verwenden zahlreiche Fremdwörter", erklärte Salaam Siin unter gewichtigen Akkorden. „Wenn das etwas Besonderes sein soll ..."
„Das System, nach dem sie dabei vorgehen, ist sehr
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