1517 - Die Mondhexe
einfach über ihm.
War sie ein Geist? Ein feinstoffliches Wesen aus einer anderen Welt?
Ich musste wohl davon ausgehen, aber sie sah mir nicht aus wie ein Geist. Sie schien einen festen Körper zu haben, obwohl sie sich wie ein Geist bewegte. Natürlich hatte ich im Laufe meines Lebens einen gewissen Instinkt für Gefahren entwickelt.
Hier allerdings war alles anders. Ich fühlte mich nicht bedroht, hier war mehr meine Neugierde geweckt worden, und jetzt war ich gespannt, was diese Besucherin von mir wollte.
Eine Warnung durch das Kreuz erhielt ich nicht. Das war schon halbwegs beruhigend.
Ich wollte auch nicht mehr liegen bleiben und richtete mich so weit auf, bis ich schließlich saß. Von nun an nahm ich den Besuch von der humorvollen Seite und schaute direkt in das fein geschnittene Gesicht mit den hellen Augen.
Darin war nicht dieser harte brutale Glanz, den ich schon bei Werwölfen und anderen dämonischen Wesen gesehen hatte. Diesen Ausdruck würde ich als weich bezeichnen, und erneut kam mir der Vergleich mit dem Mondlicht in den Sinn.
War diese Idee zu weit hergeholt?
Ich hatte meine berechtigten Zweifel, weil sich das Mondlicht eben so ungewöhnlich verhalten hatte.
Das Schweigen hatte meiner Meinung nach lange genug gedauert, und so unterbrach ich es.
»Wer bist du?«
Die Spannung baute sich in mir auf. Ich wünschte mir, dass ich eine Antwort erhielt, und ich hatte tatsächlich Glück, denn sie konnte sprechen.
Ihre Stimme hatte einen sehr weichen Klang, der nicht den leisesten Ton von Aggressivität enthielt. »Ich bin Luna…«
Nach dieser Antwort stutzte ich. Luna war ein ungewöhnlicher Name.
Aber ich dachte auch einen Schritt weiter, erinnerte mich wieder an das Mondlicht, das so etwas wie ihr Vorbote gewesen war, und plötzlich ging ich davon aus, dass der Name passte.
Luna war der lateinische Name für Mond.
Ja, das war es doch.
»Sehr schön«, sagte ich. »Man hat dich also auf den Namen des Mondes getauft.«
»Ja.«
»Wer?«
»Ich selbst.«
»Du hast also keine Erzeuger?«
»Nein.«
Bisher hatte sie die Arme vor der Brust verschränkt gehalten. Jetzt ließ sie sie sinken, und ich schaute auf die volle Pracht ihrer Brüste, bei denen die dunklen Warzen auffielen und mich an zwei reife Himbeeren erinnerten.
»Was willst du hier?«, flüsterte ich. »Warum hast du mich besucht, und was genau hast du mit dem Mond zu tun?«
»Ich lebe durch ihn.«
»Interessant«, erwiderte ich leise. »Er ist also der Quell deiner Kraft.«
»Du hast es erfasst.«
»Gut, das akzeptiere ich, Luna, aber ich frage mich immer noch, warum du gerade mir einen Besuch abgestattet hast. Was willst du von mir?«
»Noch nichts, John Sinclair, aber du wirst bald etwas mit mir zu tun bekommen, dessen bin ich mir sicher.«
»Und wieso sollte ich?«
»Du wirst dich für mich interessieren müssen. Aber ich sage dir gleich, dass es nicht gut ist, wenn du mich aufhalten willst. Betrachte also meinen Besuch bei dir als so etwas wie eine Warnung. Nimm mich und mein Tun einfach hin. Denk dabei an den Mond, denk an sein Licht und auch seine immense Kraft.«
»Ich weiß, dass er Kraft besitzt. Die Gezeiten sind dafür das beste Beispiel. Aber du bist nicht der Mond und…«
Sie ließ mich nicht ausreden.
»Ich bin ein Teil von ihm«, sagte sie, »merk dir das.«
»Gut, einverstanden.«
»Was immer auch passiert, stell dich nicht gegen mich. Dann hast du deine Ruhe.«
Ich winkte ab. »Nun ja, du scheinst mich zu kennen. Du weißt demnach, gegen wen ich kämpfe. Gegen Schwarzblüter, gegen Dämonen, gegen die Mächte der Finsternis - da kommt einiges zusammen. Und wenn du mir jetzt rätst, mich nicht gegen dich zu stellen, muss ich davon ausgehen, dass du zu dieser Gruppe gehörst.«
»Ich sehe mich nicht so. Ich gehe meinen eigenen Weg. Hüte dich davor, mir in die Quere zu kommen. Ich habe lange, sehr lange gelernt. Jetzt bin ich reif, jetzt bin ich perfekt. Jetzt hat mich der Mond angenommen, verstehst du?«
Ich war ehrlich und sagte: »Nein, das verstehe ich nicht.«
»Dann belass es dabei. Du bist wichtig, ich bin wichtig, und ich möchte nicht, dass sich daran etwas ändert. Feinde hast du genug, die dir zu schaffen machen. Sorg dafür, dass ihre Zahl durch mich nicht noch weiter anwächst.«
Ich hatte ihr verdammt gut zugehört, aber klar war nichts bei mir. In meinem Kopf hatten sich zahlreiche Fragen angesammelt. Ich dachte auch nicht mehr an meine Müdigkeit, die war längst
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