1523 - Die Horror-Maschine
ausgesucht, die den Namen nicht verdiente. Die großen Überschwemmungen waren zwar zurückgegangen, weil kein Regen mehr nachkam, aber dafür hatte sich die Kühle ausgebreitet und die Leute in ihre Wohnungen getrieben, statt in die Biergärten.
Sie war unterwegs, und dabei spielte es keine Rolle, ob es eiskalt oder brütend heiß war.
Justine Cavallo sah zwar aus wie ein Mensch, aber sie reagierte nicht so. Sie blieb bei allen Temperaturunterschieden völlig neutral, nur nicht, wenn sie Blut brauchte. Denn dann wurde sie allein von der Gier getrieben.
Es dauerte immer etwas, bis sie den Drang verspürte, sich ein Opfer auszusuchen. Und sie nahm sich nur die Menschen vor, die ihrer Ansicht nach nichts wert waren. Sie hielt sich meist an Verbrecher, die Londons Straßen unsicher machten. Nach dem Biss brachte Justine sie um.
London lebte auch in der Nacht. Das spürte sie bei ihrem Weg durch das Meer von Häusern. Ihre wichtigen Plätze waren der Hafen und die Parks, aber auch einige Wohnsiedlungen, die abseits standen.
Justine war immer zu Fuß unterwegs. Das konnte sie sich leisten, denn ihre Kraft ging weit über die eines normalen Menschen hinaus. Das übertrug sich auch auf ihr Laufen. Wenn es sein musste, lief sie dreimal so schnell wie ein normaler Mensch, und das tat sie auch in dieser Nacht. Dabei hatte sie das Gefühl, dass ihr London ganz allein gehörte.
Überall waren noch Leute unterwegs, sodass sie in ihrem Zustand einfach daran denken musste, dass in dieser Stadt wahre Blutströme für sie flossen.
Wo fand sie die nächste Beute?
Sie suchte. Sie roch. Sie sah Menschengruppen hinter den erleuchteten Fenstern der Lokale. Sie hätte dort eindringen und Panik verbreiten können, nur wollte sie gerade das nicht. Wenn sie trank, dann würde es heimlich geschehen, und auf eine solche Chance lauerte sie.
Es gab bestimmte Orte, wo sie ihre Beute fand, und sie hatte sich diesmal für einen der Parks entschieden, die in tiefer Dunkelheit lagen.
Es war der Gladstone Park. Dort hatte es in der letzten Zeit einige Überfälle auf Menschen gegeben. Aus der Zeitung hatte sie diese Information. Sogar ein Mord war dort passiert. Zeugen hatten von einem Maskierten gesprochen, der die Menschen überfiel, und genau diesen Typ wollte Justine fangen.
Sein Blut sollte ihr wieder die nötige Kraft geben, um die nächsten Wochen gesättigt zu überstehen.
Justine Cavallo war sogar mit der Underground gefahren. Im Wagen war sie die einzige Frau gewesen, doch niemand der männlichen Passagiere hatte auch nur den Versuch unternommen, sie zu belästigen. Sie spürten, dass von dieser Person etwas ausging, das sie vorsichtig werden ließ.
Nahe des Parks verließ sie die U-Bahn. Hier oben gab es nicht das London, das in den Prospekten beschrieben wurde. Es war zwar keine verlassene Gegend, aber eine, in der zahlreiche Leute in den alten Mietshäusern wohnten und wo noch ein großes Wasserwerk stand, das sogar eine Bahnanbindung hatte.
Das Gelände des Wasserwerks grenzte praktisch an den Park. Zwischen ihm und dem Industriebau existierte noch ein künstlich angelegter See.
Es war das Wasserreservoir.
Justine ging langsamer. Sie musste das Wasserwerk passieren, um in den Park zugelangen. Sie vermutete auch, dass hier Polizeistreifen patrouillierten. Nach dem, was vorgefallen war, musste damit gerechnet werden, dass der oder die Täter wieder zuschlugen.
Eine Nacht, in der kaum Wind wehte. Eine stille Nacht zudem, denn hier war nicht die mit Verkehrslärm gefüllte City.
Justine schritt an den hohen Mauern des Wasserwerks entlang. Hin und wieder gab eine einsam stehende Laterne ihr kaltes Licht ab.
Je näher sie der Parkgrenze kam, umso schwächer wurde das Licht.
Schließlich gab es gar keine Beleuchtung mehr, und die Ostseite des Parks wuchs wie ein dunkles Gebilde vor ihr auf.
Die Cavallo wurde vorsichtiger. Ihre Sinne waren gespannt. Besonders wenn ihr der Geruch von Menschen entgegenwehte.
Und die gab es tatsächlich in der Nähe.
War der Killer wieder unterwegs?
Nahe der ersten Bäume und auch nicht weit von einer Straße entfernt, die den Park durchschnitt, blieb sie stehen. Die Fahrbahn war nicht besonders breit, und die Straße diente als Abkürzungsstrecke für Autofahrer.
Um diese Zeit tat sich da nichts. Das graue Band lag dort wie in die Dunkelheit eingetaucht.
Justine wusste noch nicht, was es war, aber etwas ließ sie schon vorsichtig werden und dämpfte ihre Euphorie. Es war nicht die Vorsicht
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