1534 - Weg der Verdammten
erwartete.
Auch dem Wirt war die Sache nicht geheuer. Er musste die Frage einfach stellen.
»Was hast du denn mit dem Totengräber zu tun?«
»Ich weiß es nicht.«
Er lachte. »Soll ich dir das glauben?«
»Das müssen Sie. Ich weiß es wirklich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, was er von mir will.«
»Na ja, wir sind ja gleich unten. Da wirst du deine Antwort schon erhalten.«
Claudine schwieg. Sie fühlte sich alles andere als wohl in ihrer Haut, und die Kälte, die sie erfasst hatte, wollte einfach nicht weichen. Ebenso das Zittern.
»Wo wartet er denn auf mich?«
»Hinten.«
»Wie?«
»Am Ausgang.«
»Ach so.«
Der Mann stand unten in dem Gang, den die Gäste benutzten, um zu den Toiletten zu gelangen. Magnin war eine düstere Gestalt, und daran hatte sich auch jetzt nichts geändert. Dunkle Kleidung hatte er immer getragen, und das hatte er auch nach seiner Pensionierung beibehalten.
Er stand da wie ein kompaktes Gespenst, und der Hut auf seinem Kopf warf durch die Krempe noch mehr Schatten, sodass von seinem Gesicht nicht viel zu sehen war. »Da ist sie!«
Der Wirt hatte die Worte in einem Tonfall gesprochen, der Claudine erschreckte. Erneut jagte ein heißer Strom durch ihren Körper, und sie kam sich für einen Moment vor, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen.
»Sehr gut, danke.«
»Ich gehe dann. Du kennst den Weg.«
Magnin nickte. »Ich kenne mich hier aus, mein Freund.« Er legte den Kopf zurück und lachte leise. »Schließlich weiß ich Bescheid und gehöre zum Inventar. Wir trinken mal einen zusammen.«
»Ja, bis später.«
Der Wirt ging, und plötzlich kam sich Claudine verloren vor. Sie bewegte sich nicht, und Magnin tat das Gleiche. Bis er dann lachte und den Arm ausstreckte, wobei er mit der Hand winkte.
»Komm schon her…«
»Und dann?«
»Komm her!«
Claudine Petit wusste, dass sie in diesem Spiel nur verlieren konnte.
Sich zu wehren hatte keinen Sinn, denn dieser ehemalige Totengräber roch nach Gewalt, und der Duft des Friedhofs hing auch jetzt noch in seinen dunklen Klamotten.
Als Claudine nahe an ihn herangekommen war, griff er zu und zerrte sie zu sich heran. Mit der freien Hand öffnete er die Hintertür.
Wenig später waren sie draußen auf einem Hof, der durch eine Lampe nur spärlich beleuchtet wurde.
Magnin drängte sie gegen die kalte Wand des Hauses und blieb dicht vor ihr stehen. Er nahm seinen Hut nicht ab, und so verdeckte die Krempe den Blick auf seine Augen.
Claudine Petit war in den vergangenen Sekunden sensibilisiert worden.
Sie wusste, dass etwas auf sie zukommen würde, und sie fühlte sich jetzt in der Gewalt eines Menschen, der für sie kein normaler Mensch mehr war. Mit dem Totengräber hatte sie nie viel zu tun gehabt. Vor allen Dingen beim Öffnen des Grabes waren sie ihm aus dem Weg gegangen, denn trotz seiner Pensionierung trieb er sich noch oft auf dem Friedhof herum. Er konnte davon nicht lassen, und jetzt kam ihr der Gedanke, dass er sie möglicherweise beobachtet hatte, als sie das große Grab geöffnet hatten.
Sie wunderte sich selbst, dass sie die Kraft fand, eine Frage zu stellen.
»Was wollen Sie von mir?«
»Ich bin nur der Vermittler.«
»Für wen?«
»Du wirst es noch erleben. Ich werde dich zu der entsprechenden Stelle bringen.«
Es war ein Satz, der ihr nicht gefallen konnte.
»Und wenn ich nicht will?«, fragte sie.
»Dir bleibt keine andere Wahl.« Magnins Mund verzog sich zu einem Grinsen. »Wer sich zu weit aus dem Fenster lehnt, läuft Gefahr, in die Tiefe zu stürzen. Daran solltest du immer denken. Du hast dich um Dinge gekümmert, die dich nichts angehen. Wenn man die Toten nicht ruhen lässt, muss man mit entsprechenden Konsequenzen rechnen.«
Es hatte Tote gegeben, das wusste Claudine genau. Und sie wusste auch, das sie nur mit Glück überlebt hatte. Doch jetzt neigte sich ihr Glück dem Ende entgegen, denn dieser Magnin machte auf sie nicht den Eindruck, als wollte er sie laufen lassen.
Er zerrte sie von der Hauswand weg.
»Wohin bringen Sie mich?«
»Das wirst du schon sehen, und denke immer daran, dass die alten Zeiten so schnell nicht vorbei sind…«
***
Ich fühlte mich schon ein wenig fremd, als ich den schützenden Wagen verlassen hatte. Die Umgebung war nicht eben das, was mich aufgemuntert hätte. Ich stand auf dem Innenhof, sah die Gestalten, sah das Feuer der Kerzen, die Schädel, die auf den Stangen steckten, und es war so, als wäre das alles völlig
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