154 - Die Kralle des Todes
formten die Worte einer alten, längst erloschenen Sprache. Obgleich sie dreimal dreizehn Kerzen das Innere des Zimmers eigentlich hell erleuchten mußten, wurde es mit jedem Wort, das die Hexe Carina sprach, dunkler.
Schließlich gab es nur noch Schwärze außerhalb des Zauberkreises. Und in der Schwärze waren wie Punkte die Kerzenflammen zu erkennen.
Aus dem Nichts heraus formte sich ein schwaches Leuchten. Es dehnte sich aus und umfloß einen Körper, der entstand. Eine uralte Frau materialisierte. Sie hatte einen großen Kopf mit einem grobschlächtigen, faltigen Gesicht, das rosa gepudert war. Ihr gekräuseltes Haar war grellrot, und auf der großen, fleischigen Nase hatte sie zwei Warzen. Sie war klein und besaß einen leichten Buckel.
„Es ist lange her, daß jemand meine Hilfe brauchte", sagte sie krächzend. „Ich wäre fast gestorben." Ihre Augen funkelten im Schein der Kerzen.
„Bitte", flüsterte Carina. „Du mußt Tonio helfen, Safirna. Ich will nicht, daß er stirbt. Dabei ist er vielleicht schon tot… ich bin verzweifelt. Ich liebe ihn."
„Du liebst ihn?" Die Alte lachte meckernd. „Du liebst ihn, Kindchen… wie einfach man das sagt! Hexen lieben nicht."
„Dann bin ich eben keine Hexe", stöhnte Carina. „Hilf Tonio! Ich will nicht, daß er stirbt oder für immer gelähmt bleibt. Er soll gesund werden und leben."
„Ah, ich denke, ich werde es tun", sagte Safirna. „Schon in meinem eigenen Interesse."
„Ich gebe dir dafür alles, was du willst", sagte Carina schnell.
Die Uralte verzog ihre dünnen Lippen zu einem spöttischen Grinsen.
„Wenn ich ihm helfe, bin ich schon bezahlt genug", kicherte sie. „Safirna nimmt sich immer, was sie braucht. Du mußt mich nicht bezahlen."
„Danke", flüsterte Carina.
„Warte es ab, ob du mir danken wirst", sagte die Alte und verschwand. Ein Windstoß ging durch das verschlossene Zimmer und ließ die Kerzen verlöschen. Carina erhob sich aus dem Kreis und schaltete das elektrische Licht ein, einen Luxus, den es erst seit einem Dutzend Jahren im Dorf gab. Die magischen Zeichen und der Kreis waren ebenso verschwunden wie das Tierblut auf Carinas Körper. Dennoch wusch sie sich sorgfältig, ehe sie sich niederlegte. Doch der Schlaf wollte nicht kommen. Eine seltsame Unruhe hatte die junge Hexe erfaßt. Was hatte Safirna mit ihren Worten gemeint?
Safirna erschien in Tonios Krankenzimmer aus dem Nichts heraus. Es war dunkel, aber sie brauchte kein Licht. Sie sah sich um und warf den Maschinen, an denen Tonio angeschlossen war, einen abfälligen Blick zu. Fast fürchtete sie schon, zu spät gekommen zu sein. Aber es war noch ein Hauch verlöschenden Lebens in ihm.
Safirna trat an das Bett und schlug die Decke zurück. Ihre runzligen, spinnenfingrigen Hände berührten den Körper, glitten zärtlich über die Haut. Safirnas Augen leuchteten. Die Dämonin bemühte sich, die Kabel und Schläuche nicht zu berühren. Sie wollte keinen Alarm bei der Nachtschwester auslösen.
Wieder und wieder berührte sie Tonio. Ihre geheimnisvollen Kräfte durchdrangen ihn und fügten zusammen, was Ärzte nicht hatten richten können. Verbindungen wurden erneuert und heilende Kräfte strömten in einen Körper, der fast gestorben war. Er gewann Kraft und Leben. Und im gleichen Maß, wie er erstarkte, schwanden auch Falten aus Safirnas Gesicht. Sie wurde sichtbar jünger. Noch immer war sie alt, aber nicht mehr so uralt wie vorher.
„Viel ist es nicht, weniger, als ich erwartete", flüsterte sie. „Mir scheint, die Jugend ist weniger stark als früher. Doch es wird reichen… zu lange habe ich warten müssen…"
Tonio öffnete die Augen. Er sah Safirna über sich.
„Du wirst schlafen", raunte sie, ehe er etwas sagen konnte.
Seine Augen schlossen sich wieder. Tonio schlief. Safirna erhob sich vom Krankenbett und löste sich wieder in Nichts auf.
Als Carina am folgenden späten Vormittag das Krankenhaus erreichte, traute sie ihren Augen nicht. Unten in der Halle ging Tonio auf und ab, frisch, munter und gesund! Sie eilte auf ihn zu. „Tonio!" rief sie glücklich.
Safirna hatte ihm also geholfen! Dafür war kein Preis zu hoch. Tonio lebte, und er brauchte nicht zeitlebens als Gelähmter im Rollstuhl zu sitzen oder gar im Bett zu liegen!
Tonio reagierte nicht auf Carina. Erst als sie seinen Arm erfaßte und ihn damit zwang, ihn anzusehen, drehte er den Kopf. „Wer sind Sie?" fragte er überrascht. „Was wollen Sie von mir?"
Carina glaubte in einen
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