154 - Die Kralle des Todes
ließ Coco auf die Rückbank sinken und warf sich neben Flindt auf den Beifahrersitz.
Der Däne grinste ihn kurz an.
„Perfavore, Via Vittorio Veneto, signore? "
fragte er im geschäftsmäßigen Tonfall eines Taxifahrers.
Dorian sah in verständnislos an. „Was sollen wir denn da?"
„Dich nach der neuesten italienischen Mode einkleiden", sagte Flindt. „Die Modegeschäfte in der Via Veneto sind berühmt, Freund."
Da erst entdeckte Dorian, daß er keinen Faden am Leib trug.
„Was ist im Haus los?" fragte Flindt, während er losfuhr. „Wer hat das Monster geschlachtet?" „Zakum", sagte Dorian. „Da drinnen räumen die Damen und Herren Dämonen jetzt wohl untereinander auf. Sie haben zu unterschiedliche Ansichten über meine Verwendung. Aber die einzig wahre und wichtige Ansicht zu diesem Thema dürfte wohl meine sein."
Das war, fand Abi Flindt, durchaus richtig.
Angelina sah Zakum auftauchen, und im nächsten Moment entdeckte sie, daß Dorian Hunter fort war. Sie schrie eine Verwünschung. Zakum würde alles andere als erfreut darüber sein, wenn das stimmte, was Safirna gesagt hatte - daß der dunkle Archivar den Dämonenkiller für sich haben wollte. Er würde Angelina die Schuld an Hunters Entkommen geben.
Und das nicht einmal zu Unrecht.
Angelina tat das in ihrer Lage einzig Vernünftige: Sie floh. Sie stürzte sich aus dem Fenster, entfaltete ihre Schwingen und flog. Erbost sah sie, daß Grom tot war, von Zakum niedergestreckt. Er konnte ihr also nicht mehr dienen. Angelina war wieder auf sich allein gestellt.
Vielleicht war es nun besser, Rom erst einmal für eine Weile zu meiden. Sie hoffte, daß Zakum sie nicht erkannt hatte. Safirna konnte nicht mehr reden.
Angelina jagte mit kräftigem Schwingenschlag am blauen Himmel davon.
Zakum hatte Angelina tatsächlich nicht erkannt. Er hatte nur Augen für Safirna. Ungläubig starrte er die Dämonin an, die einem fünfjährigen Mädchen glich und sich immer weiter verjüngte. Ihr Verstand war bereits zerstört, ihr Gehirn restlos leer. Sie lallte vor sich hin. Zakum wich erschrocken zurück.
Zum ersten Mal erlebte er den Wahnsinn an einer Dämonin. Er hatte geglaubt, nur die Menschen seien für Geisteskrankheiten anfällig. Safirna überzeugte ihn vom Gegenteil.
Zakum sah, daß er zu spät gekommen war. Dorian Hunter war verschwunden, und seine Fängerin starb. Der Archivar schlang den Umhang enger um seinen dürren Körper und zog sich zurück. Er war zornig. Doch er konnte nichts mehr ausrichten.
Wenig später war Safirna ein wimmerndes Kleinkind, eine halbe Stunde später existierte sie nicht mehr.
„Ich glaube", sagte Dorian Hunter später im Hotel, „daß wir dennoch einen kleinen Erfolg erzielt haben. Zumindest Safirna dürfte tot sein, das Monster aus Rettis Hexenküche ist erledigt. Retti selbst gibt es nicht mehr. Und wir sind einigermaßen unversehrt aus der Sache ausgestiegen."
„Es hat Tote genug gegeben", erinnerte Flindt. „Unbeteiligte."
„Es gibt Dinge, die sich beim besten Willen nicht vermeiden lassen", sagte Dorian leise. „Auch wenn wir es noch so gern möchten."
Er legte einen Arm um Cocos Schultern. „Ich danke dir", sagte er. „Vor allem dafür, daß du trotz meiner Resignation nicht aufgegeben hast. Ich glaube, der Keim hat mich so niedergeschmettert. Ich wußte nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Alptraum zu unterscheiden."
Coco lächelte. Sie küßte ihn auf die Wange.
„Weißt du, worauf ich mich freue?" sagte Dorian. Coco lächelte ihn an; sie ahnte, was er sagen wollte: „Zurückzukehren zum Castillo Basajaun und Martin wiederzusehen. Ich hatte schon nicht mehr geglaubt, daß ich es noch schaffen würde."
Lange nachdem Zakum gegangen und Safirna gestorben war, verließ ein abgemagerter, ausgezehrter Mann das Haus. Er fühlte sich verloren in einer ihm fremden Umgebung. Und er wußte zugleich, daß er frei geworden war.
Frei von dem dämonischen Bann, der ihn so lange Zeit im Griff gehalten hatte.
Er erinnerte sich an das Mädchen, das er liebte: Carina, der man in seinem Dorf nachsagte, sie sei eine Hexe. Und er ahnte, daß er sie niemals wiedersehen würde. Irgendwie wußte er, daß sie tot sein mußte, denn ein geheimnisvolles Band, das ihn früher mit ihr verknüpft hatte, war verloschen.
Nur die Erinnerung an die Tage der Liebe blieb, und das Wissen, daß es niemals wieder so sein konnte wie damals.
Tonio mußte sich eine neue Zukunft bauen.
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