155 - Der Teufelsrocker
bohrte sich in das undurchdringliche Schwarz vor ihnen.
Schon nach wenigen Schritten entdeckten sie die ersten Wandmalereien.
»Faszinierend«, sagte der Professor begeistert. »Sieh dir diese leuchtenden Farben an, Shelley. Diese Kunstwerke wurden vor langer Zeit geschaffen, doch ihre Farben verblassen nicht. Sie haben nichts von ihrer einstigen lebendigen Leuchtkraft eingebüßt. Ein Rätsel für sich.«
Manchmal waren es nur Gesichter, häßlich und abstoßend, die die unbekannten Künstler an die Felswand gemalt hatten. Dann waren grauenerregende Szenen dargestellt, Shelley sah Flammen. Vielleicht war das Höllenfeuer gemeint. Opfer wurden grausam gefoltert und getötet. Der ganze Schrecken der Hölle schien über sie hereingebrochen zu sein.
Ob der Mensch, der das gemalt hatte, vom Kristall beeinflußt gewesen war?
Manche Szenen waren so schauderhaft realistisch, daß es Shelley eiskalt über den Rücken lief.
Ihr Vater sah die Malereien mit anderen Augen. Es war die Kunst, die ihn faszinierte, nicht der Inhalt der Darstellung.
Er holte seine Minox-Kamera aus dem Rucksack und fotografierte mit Blitzlicht.
Shelley kam die Kälte, die sie umwehte, unnatürlich vor - wie der Atem eines versteinerten Ungeheuers, das vielleicht jeden Moment zum Leben erwachen konnte. Und sie befanden sich tief in seinem Maul. Es brauchte sie nur noch zu schlucken.
Die Szenen wurden immer widerwärtiger und grausamer. Der Künstler, der sie schuf, mußte geisteskrank gewesen sein. Wie hätte ihm sonst so etwas Schreckliches in den Sinn kommen können. Oder war es ihm eingegeben worden?
Die Höhle wurde enger, und einen Lidschlag später fiel der Strahl der Stablampe auf den Zauberkristall. Das Licht brach sich in ihm und ließ ihn wie einen Stern im dunklen All strahlen.
Paul Robinson war überwältigt. Er wankte, trunken vor Glück, auf den Kristall zu, der auf einem hüfthohen Stein lag.
»Er gehört mir«, flüsterte der Professor. »Ich weiß nicht, wer ihn für mich hierhergelegt hat. Ich weiß nur, daß er mein Eigentum ist, es immer schon war.«
Zitternd vor Erregung, streckte er die Hand nach dem kinderfaustgroßen Kristall aus.
Shelley biß sich auf die Lippe und hielt den Atem an. Es wäre ihr lieber gewesen, wenn ihr Vater den geheimnisvollen Kristall nicht berührt hätte, doch davon konnte sie ihn unmöglich abhalten. Nur aus diesem Grund waren sie hier.
»Mein Kristall«, stieß der Professor heiser hervor. »Endlich haben wir zueinander gefunden. Nie mehr werden wir uns trennen.«
Er legte die Hand darauf, und seine Finger schlossen sich langsam.
Eiseskälte durchfloß ihn, stieg in seinem Arm hoch und füllte die Brust aus. Ihm war, als würde er in diesem Moment eins werden mit dem Kristall. Ein verklärtes Lächeln legte sich auf seine Züge. Er spürte, daß er willkommen war, daß ihm von diesem Zauberkristall keine Gefahr drohte.
»Du und ich«, sagte er leise, fast tonlos. »Das ist das wahre Bündnis, die lang erwartete Vereinigung.«
Blaue Flammen schossen zwischen seinen Fingern hervor. Shelley erschrak. »Vater!« rief sie.
Doch er schüttelte den Kopf. »Es ist nichts, mein Kind.« Er hatte nicht einmal gezuckt. »Der Kristall zeigt uns lediglich, daß er lebt.«
»Er ist gefährlich«, wagte Shelley nun doch zu behaupten.
»Alles lächerliches Gewäsch, was man sich über ihn erzählt. Du darfst es nicht glauben, Shelley. Die Flammen«, fuhr er fort, »sie verletzen mich nicht, sind angenehm.«
Sie umwaberten seine Hand wie ein brennender Handschuh.
»Es ist beinahe so, als würde mich dieses blaue Feuer liebkosen«, bemerkte der Professor. »Es nimmt einem jede Furcht, flößt einem Vertrauen ein. Es muß ein heiliges Feuer sein, das nicht zerstören oder verletzen kann.«
Er wollte den Kristall an sich nehmen, doch das war nicht möglich.
»Ich muß die Verbindung zum Felsen lösen«, sagte der Professor und reichte seiner Tochter die Lampe. »Halt mal.«
Er ließ den Kristall los, die blauen Flammen erloschen oder zogen sich in den Kristall zurück, so genau war das nicht zu sehen. Shelley hatte den Wunsch, die Höhle zu verlassen - ohne den Kristall -, aber dazu wäre ihr Vater niemals zu bewegen gewesen, deshalb blieb sie bei ihm.
Abermals setzte er den Rucksack ab und kramte darin herum. Nachdem er Hammer und Meißel gefunden hatte, begann er mit der Arbeit, ganz vorsichtig, sehr behutsam, um den Kristall nicht zu verletzen.
Er setzte die flache Meißelschneide ringsherum
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