1553 - Der Feind aus dem Dunkeln
gesehen als ich. Hat er sich verändert?«
»Ich glaube nicht.«
»Hm.« Sie hob die Schultern. »Trotzdem würde ich gern mehr über deinen Kampf gegen ihn erfahren.«
»Er war kein Ruhmesblatt für mich.«
»Das ist mir gleich.«
Sie schauten sich länger in die Augen. Weder Sophie noch Godwin dachten daran, sich wieder schlafen zu legen. In dieser Nacht würden sie wohl kaum mehr ein Auge zumachen.
»Also gut, ich werde es dir sagen, und ich werde mich dabei kurz fassen.«
»Das musst du nicht.«
Der Templer wusste, dass er länger sprechen würde. Deshalb feuchtete er seine Kehle noch mal an, griff zum Glas und leerte es.
Dabei schaute er in das gespannte Gesicht seiner Frau. Er nickte noch mal und begann zu erzählen…
***
Die Stadt war unter großen Verlusten von den Rittern des Abendlandes erobert worden. Aber auch der Gegner hatte starke Verluste hinnehmen müssen. Auf den Straßen und in den Gassen der Stadt sah es schrecklich aus. Niemand fühlte sich zuständig, die Leichen wegzuschaffen oder sie zu begraben. Fliegenschwärme ernährten sich vom Blut, und auch die ersten Ratten waren schon dabei, die Leichen zu zernagen. Durch die Hölle hatte sich Godwin de Salier gekämpft. Er war fast am Ende seiner Kräfte. Die Hitze hatte ihm ebenso zu schaffen gemacht wie der schwere Brustpanzer, von dem einige Pfeile abgeprallt waren.
Aber Godwin sah sich als Vorbild. Er wollte sich nicht gehen lassen und bis zum bitteren Ende kämpfen. Ihm ging es um El Shadd. Er war derjenige mit dem größten Einfluss. Auf ihn hörten die Honoratioren der Stadt. Wenn er ausgeschaltet war, konnten die Ritter des Abendlandes Damaskus übernehmen und dann weiterziehen.
Sie wollten sich mit einem anderen Heer vereinigen.
Das Haus lag vor ihm. Er stand dem würfelförmigen Gebäude recht nahe. Dahinter ragte die Stadtmauer auf, und vor dem Haus des Magiers befand sich ein freier Platz.
Leer war er nicht. Auch hier war gekämpft worden, was leider zu sehen war. Auf dem Platz lagen die Toten, aber auch die Verwundeten, die zum Gotterbarmen stöhnten.
Er ging weiter. Langsam. Das Schwert in der rechten Hand. Die Waffe war ihm schwer geworden, und seine Spitze schleifte durch den Staub, der an manchen Stellen vom Blut der Toten und Verwundeten dunkel geworden war.
Normalerweise wäre das Haus klar zu sehen gewesen. In diesem Fall traf es nicht zu, denn lange Staubschleier trieben durch den leichten Wind von einer Seite zur anderen.
Sie sahen aus wie graue und blassgelbe Fahnen ohne Anfang und ohne Ende.
Godwin de Salier starrte in den Staub hinein. Bevor er das Haus betrat, wollte er sich etwas erholen und Kräfte sammeln.
Er stützte sich auf seinem Schwert ab und holte tief Luft. Viel half es nicht. Ihm war, als wären seine Lungen mit heißer Luft und zugleich mit Staub gefüllt. Seine Rachenhöhle glich einem Wadi, dem ausgetrockneten Wüstenfluss.
Aber er gab nicht auf. Kampf bis zum Letzten, das hatte sich Godwin geschworen.
Da war es ihm egal, dass sein Körper mit einer dicken Schweißschicht bedeckt war.
Sein Mantel mit dem Kreuz der Templer hing wie ein alter Lappen an seinem Rücken hinab. Er fühlte sich abgekämpft und gezeichnet. Dennoch machte er weiter.
Er ging. Es fiel ihm schwer. Die Füße schleiften über den Boden und wirbelten noch mehr Staub auf. Seinen Blick hatte er nach vorn gerichtet, wo sich eine Öffnung befand, die von keiner Tür verschlossen wurde. Das Viereck glich dem Eingang zu einer Höhle, in der sich das Schreckliche verbarg, das Godwin ans Tageslicht holen wollte.
Mit jedem Schritt musste er sich selbst überwinden, aber er dachte auch an seinen Eid, den er geleistet hatte. Die heiligen Stätten mussten den Ungläubigen wieder entrissen werden.
Das Stöhnen der verwundeten Menschen, die noch nicht gestorben waren, begleitete ihn auf seinem Weg. In seinem Kopf tuckerte es. Sein Mund war verzerrt, die Lider zusammengekniffen. Er spürte die Gefahr, die in diesem Haus auf ihn lauerte.
Das Schwert zeigte jetzt mit seiner Spitze nach vorn, als er die Schwelle übertrat.
Der Blick nach rechts uns links hinein ins Dunkel, das jeden Angreifer verbergen würde.
Es erfolgte kein Angriff. Er konnte weiter gehen und verspürte die seltsame Atmosphäre zwischen den Lehmwänden. Es war nicht kühler geworden. Dafür feuchter und stickiger. Und es lag ein stechender Geruch in der Luft, wie er ihn noch nie erlebt hatte.
Er hätte die Luft mit der Klinge zerteilen können.
Nach wenigen
Weitere Kostenlose Bücher