1567 - Die Auserwählten
die kleine Insel zurück. Dafür tauchten am Rand des Blickfelds immer neue Riffe, Atollgrüppchen und dünnbesiedelte Flecken auf. Das Meer schimmerte in hellgrüner Farbe, darüber spannte sich ein fahler, bräunlicher Himmel. Und die Sonne schickte wie ein brennender Fleck ihre Strahlen auf Dauho herunter.
Eine halbe Stunde später ließ Neido den Gleiter absacken. „Dahinten ist es", sagte sie.
Ihre ältere Schwester warf Hagea einen strengen Blick zu.
Sie achtete jetzt nicht darauf. Statt dessen hing ihr Blick wie gefesselt an den Erhebungen dort unten.
Ein zwei Kilometer durchmessendes, kurz unter der Wasseroberfläche gelegenes Riff umgab die Inseln. Die eine war kaum bewachsen, völlig leer. Die andere sah dagegen aus wie ein blühendes Paradies, wo sich zehn Gebäude in ein Geflecht aus Bäumen, Grünflächen und Wegen fügten.
Binnen zwei Minuten war das Fahrzeug gelandet. Neido hatte bewußt einen etwas abgelegenen Platz am Ufer angesteuert.
Hagea stieg gemeinsam mit den anderen aus dem Gleiter. Mit einemmal war das schreckliche Gefühl in ihr verschwunden. Erstmals seit Tagen atmete sie wirklich erleichtert durch. „Auf Wiedersehen, Kleine."
Bluda nahm sie kurz in die Arme und drückte sie zärtlich. Aerton strich ihr durchs Haar, und Neido ließ nur einen mißbilligenden Laut hören. „Sobald man uns ruft, holen wir dich zurück, in Ordnung?"
„Ja", antwortete sie. „Aber wie finde ich diesen ..."
„Bury Comansor?" fragte Bluda. „Ja. Ich hatte den Namen vergessen."
„Ich bin sicher, daß du ihn nicht verfehlen kannst. Alle Wege führen heute zu ihm."
Hagea spürte, daß Bluda ihr diese Worte nicht erklären würde. Deshalb ließ sie die anderen ohne ein weiteres Wort einsteigen und verfolgte nur noch ungeduldig den Start des Gleiters. Bald war der silbrige Reflex am Horizont verschwunden.
Jetzt endlich wandte sie sich der Insel zu. Hier also stand die Sprachschule. Vom Strand aus war ihr jeder Blick auf die Gebäude verwehrt, aber hundert Meter weiter rechts endete ein gepflasterter Weg.
Von dort aus verliefen sich Fußspuren irgendwo im Sand. Zu sehen jedoch war keine Seele.
Hagea überwand ihre Starre. Sie preßte die Lippen zusammen, ging in Richtung Weg und folgte dem Pflaster inseleinwärts. In der Luft hingen schwere Blütendüfte. Und dahinten kam der erste Linguide. „Ich bin fremd!" rief sie. „Bitte, warte! Ich kenne den Weg nicht!"
Aber der andere lächelte nur freundlich und ging weiter. Hagea drehte sich verblüfft um und starrte ihm hinterher. So war sie noch nie behandelt worden. Notgedrungen folgte sie weiterhin dem Weg.
An jeder der zahlreichen Abzweigungen wandte sich die junge Linguidin weiter in Richtung Inselmitte, und bald hatte sie die bevölkerten Zonen erreicht.
Im Schatten weit ausladender Bäume saßen zu Dutzenden Leute - doch sie war außerstande, Schüler und Meister auseinanderzuhalten. Hagea fragte erneut nach dem Weg zu Bury Comansor, und erneut ließ man sie ohne Antwort stehen.
Wie hatte Bluda gesagt?
Zeh bin sicher, daß du ihn nicht verfehlen kannst. Alle Wege führen heute zu ihm.
Ihre Mutter hatte genau dies vorausgesehen.
Kurz entschlossen lief Hagea einfach weiter durch die Ansammlung von Gebäuden und Wegen.
Nach einer Weile kam sie an eine Lichtung, die fast verlassen dalag. Hier herrschte besondere Stille.
Kein einziger Linguide benutzte den Weg, der über die Lichtung führte. Und das, erkannte sie, obwohl viele Personen ringsum so einen Zeitverlust in Kauf nahmen.
Es schien fast, als mieden sie die Lichtung.
Nur für zwei Leute galt das nicht. Beide saßen auf einem umgestürzten Stamm im Schatten einer Buschgruppe. Da große Hitze herrschte, hatten sie die Oberteile ihrer Kleidung abgelegt. Einer der zwei war jung, ungefähr in Hageas Alter, der andere mußte zwischen dreißig und vierzig Jahre alt sein.
Mit plötzlicher Sicherheit näherte sie sich den beiden. Und zum erstenmal auf dieser Insel konnte sie Interesse sehen. „Mein Name ist Hagea Scoffy", sagte sie. „Und einer von euch muß Bury Comansor sein."
„Das bin ich", sagte der ältere von beiden. „Mein junger Begleiter heißt Bransor Manella. Wir freuen uns, daß du hergekommen bist."
Als Hagea seine Stimme hörte, die unglaubliche Kraft in jedem einzelnen Laut, zuckte sie innerlich zusammen. Dieser Mann war anders als alle, die sie je kennengelernt hatte. Sie hätte Bluda doch besser fragen sollen, was sich hinter diesem Comansor verbarg. In der Stimme
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