1567 - Die Auserwählten
lernen.
Hagea wußte, daß Neido eine gute Schülerin war. Doch sie hatte keinen Ehrgeiz, der erfolgreichen Schwester nachzufolgen. Sie war zufrieden so, wie die Dinge lagen. Wenn sie Lust hatte, tollte sie an den Klippen oder am Blaustrand nördlich vom Haus, an anderen Tagen half sie Bluda und Aerton bei der Ernte. Sie mußte ihre Zeit nicht mit Technik verplempern.
Bis auf eine Ausnahme - und die haßte sie manchmal geradezu.
In ihrem Zimmer stand der Lehrer. Es war Pflicht, sich zwei Stunden am Tag mit dieser Maschine zu beschäftigen. Über den Bildschirm hatte sie viel über die Welten der Linguiden gelernt Hagea interessierte sich sehr für alles, was fremd war, aber niemals genug, um je von Dauho fortzugehen.
Das nämlich war es, was sie insgeheim sehr fürchtete.
Doch so schlimm, dachte sie, würde es schon nicht werden.
Wie war sie nur darauf gekommen, sich mit derart heftigem Einsatz zu verweigern?
Vielleicht lag es an den vielen Geschichten, die man als Kind zu hören bekam. Wann immer es Streit und Schwierigkeiten gab, riefen die Linguiden die Schlichter an. Aller Ärger entlud sich an diesen Männern und Frauen. Sie aber wollte ein unbeschwertes Leben führen. Es reichte ihr völlig, eine Bäuerin zu sein. Sie wollte nicht das werden, woran Bluda fast zerbrochen wäre. Und sie wollte keine Vagabundin sein, die keine echte Heimat hatte - die immer dort leben mußte, wo man sie am nötigsten brauchte.
Inzwischen hatte Hagea eingesehen, daß sie einen großen Teil der Schuld selbst trug.
Bluda hatte ja gesagt, sie müßte nicht bleiben, nicht länger als einen Tag. Daß die Entscheidung bei ihr liege. Ihr Trotz hatte immer mehr Zwang herausgefordert, und das Ganze hatte sich aufgeschaukelt. Hagea hatte diesen Mechanismus nie vorher erlebt, weil sie, Mutter, Vater und Neido alle Entscheidungen immer gemeinsam getroffen hatten. Es gab nichts, was wichtiger als ihre Einigkeit war.
Jedenfalls hatte es das bis heute nicht gegeben.
Und nun?
Zum erstenmal begriff sie wirklich, wozu Schlichter oder Schlichterinnen gut waren.
Hagea wünschte, Bluda wäre eine geworden. Dann nämlich wäre das Vertrauen noch immer da. „Einsteigen, Hagea!"
Sie hatte auf dem bewachsenen Dach ihres Hauses gesessen und zum Meer hingestarrt. Der Blaustrand lag um diese Zeit noch verlassen da. Erst später würde der von der Flut geglättete Sand mit Fußspuren übersät sein.
Dies war eine kleine Insel. Gemeinsam mit etwa tausend anderen bildete sie Dauho-Mano, das Besiedlungszentrum des Planeten. Es gab erst seit sechzig Jahren Linguiden auf Dauho. Ein Großteil des Wasserplaneten war unerforscht. Zehntausende von Inseln hatte nie einer von ihnen betreten.
Das allerdings war es auch nicht, wonach die Siedler strebten. Für sie war es wichtig, im Einklang mit der Natur zu leben. So wurde in geringem Umfang Fischfang betrieben, und die Erträge deckten etwa zwanzig Prozent des täglichen Nahrungsbedarfs. Der Rest stammte aus der Landwirtschaft.
Diese bestand hauptsächlich aus kleinen und kleinsten Gärten. Jedes Haus bewirtschaftete mindestens ein Dutzend davon, und zur Erntezeit bildeten sämtliche Linguiden der Nachbarschaft eine gut organisierte Mannschaft. „Hagea!"
Sie strich mit den Fingern durch das hohe Gras, das auf dem Dach ihres Hauses die Erdkrumen festhielt. Widerwillig erhob sie sich.
Von oben brannte die rötlichgelbe Sonne. Es war Sommer über diesem Teil der Inselwelt, die heißeste Jahreszeit, in der die Siedler ihre Gärten fast nicht bewirtschaften mußten. In dieser Zeit wurde die erste Frühlingsernte konserviert; die Leute trafen sich und redeten miteinander, besuchten die Schulen, fingen Fische.
Und sie war auf dem Weg in die Sprachschule.
Hagea lief über die Dachschräge hinunter, anschließend um die Ecke zum Strand hin.
Dort stand der Gleiter der Familie. Neido saß schon auf dem Pilotensitz, während Bluda und Aerton hinten Platz genommen hatten. „Na also, Kleine!" rief Vater. Er winkte sie heran, strich durch das offene Fenster mit einer Hand über ihren Kopf, dann ließ er Hagea auf den freien Vordersitz klettern.
In ihrem Magen saß plötzlich ein dicker Kloß.
Mit leisem Summen erhob sich der Gleiter. „Es ist nicht weit entfernt", erklärte Bluda von hinten. „Knapp hundert Kilometer, am Rand der Dauho-Mano-Inseln. Neido kennt den Kurs."
Ihre Schwester ließ den Gleiter auf einen Kilometer Höhe steigen. Mit hoher Geschwindigkeit näherten sie sich dem Ziel. Unten blieb
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