158 - Orguudoos Brut
stürmte zu ihr hin und riss die Tür auf. Im selben Moment war Chengai heran, warf sich mit einem Hechtsprung nach vorn und stieß die Barbarin um. Sie landete unsanft im Schnee, begraben unter dem Gewicht des Saikhans, der mit einem Fuß nach der Tür angelte und sie hastig zutrat. Chengai bellte ein paar Worte in Richtung der heraneilenden Frauen. Dann gab er Aruula frei. Er zeigte auf sie.
Die Barbarin lag am Boden, schwer atmend und entsetzt.
Sie hatte den Knochen in der Kürze der Zeit nicht entdecken können, aber dafür etwas anderes.
Ich muss hier weg!, dachte Aruula, während sie das grauenvolle Bild zu verarbeiten suchte, das sich in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte.
In der Hütte lag ein abgetrennter Kopf.
***
Mittags, in Karachoto
»Beim Essen sind alle dabei, aber die Arbeit bleibt immer an mir hängen!«, schnarrte Luuja aufgebracht. Die Zwanzigjährige stand in ihrer Vorratskammer, einem ehemaligen Fluchtraum des Bergwerks, und beschäftigte sich mit dem Rest der letzten Beute. Es war ein Lendenstück, das Luuja einlegen wollte. Sie war sehr gut darin, das hatte sie von ihrer Mutter gelernt. Auch die großen Kupferkessel stammten noch von ihr.
Luuja hockte am Boden, vor sich eine Handvoll getrockneter Kräuter und das Fleisch. Sie schnitt, zog und zerrte die hart gewordene Haut herunter. Manchmal hielt die junge Frau inne, und dann wanderte ihr Blick durch den Raum.
Es war sehr ordentlich hier, denn Luuja liebte Ordnung.
Onnar hatte für sie Holzpflöcke in die Wandritzen getrieben, auf exakt gleicher Höhe, daran trockneten die dicken Winterfelle der Bessiiner. Kleidung hing akkurat an den Felsvorsprüngen, die Stiefel darunter standen in einer Reihe.
Gefäße für Kräuter und Gewürze waren der Größe nach sortiert, genau wie die Kupferkessel und die Sammelsachen in den Ecken – Schmuck, Waffen und Gürtel. Luuja bewahrte alles auf, was Leute nicht mehr brauchten.
Die Tongidd nickte zufrieden. Ordnung tat gut! Sie wirkte beruhigend, wenn die Bilder im Kopf durcheinander liefen und einem schwindlig wurde. So wie neulich bei der Jagd, als die Siedler auftauchten und Uubin starb.
Die großen bösen Männer haben Uubin geschlagen und getreten und hässliche Worte gerufen, dachte Luuja. Wie die anderen damals! Oder waren es dieselben?
Der Gedanke an den gewaltsamen Tod ihres Bruders ließ die fragile Sperre in Luujas Verstand erneut zerbrechen.
Aktuelle Ereignisse vermischten sich mit Erinnerungen aus vergangenen Zeiten und wurden zu einem Strudel, der sich mit Hochgeschwindigkeit durch die Zeit drehte.
Rückwärts.
Unbewusst tastete die junge Frau nach ihrem Dolch. Im Fleisch am Boden vor ihr war ein Fenster aufgegangen, da konnte man durchgucken bis an den Kratersee. Dort war es dunkel und still, und alles schlief. Luujas Mutter hatte am Abend ein gutes Essen zubereitet, aber sie hatte nicht aufgeräumt. Die dumme, dumme Mutter! Plötzlich flog die Tür auf. Fackeln kamen herein, und lauter große böse Männer. Sie zerrten die Eltern vom Lager, rechts und links an der kleinen Luuja vorbei. Sie schlugen und traten den Vater, bis er blutend zusammenbrach. Kanjar, der älteste Bruder, versuchte ihm zu helfen. Doch die Männer gingen auf ihn los, sein Dolch schlidderte über den Boden, und auf einmal rührte sich Kanjar nicht mehr. Die Mutter weinte so schrecklich! Die Männer rissen sie an den Haaren hoch, zeigten auf die Unordnung und riefen hässliche Worte. Luuja hatte dann Kanjars Dolch genommen und den lautesten Schreier verstummen lassen.
Ein Ruck ging durch die Tongidd. Wie aus einem Traum erwachend, richtete sie sich auf und stutzte, als sie den Dolch in ihrer Hand sah. Luuja konnte sich nicht erinnern, wie er dort hingekommen war.
Es muss ein Zeichen sein, überlegte sie. Die Götter wollen, dass ich meinen Bruder räche!
Das wollte Luuja ebenfalls, und so machte sie sich eilends daran, ihre Arbeit zu beenden. Vorher konnte sie nichts tun, denn Ordnung war wichtig. Man durfte nichts liegen lassen.
Aber was konnte sie überhaupt tun? Darüber dachte Luuja nach, während sie das Fleisch zerschnitt und mit den ausgewählten Kräutern einrieb.
Fest stand, dass die Siedler an allem Schuld waren. Wären sie nicht aufgetaucht, würde Uubin noch leben, denn die Tongidds wollten schon vor etlichen Tagen weiter ziehen. Aber wie war diesen Siedlern beizukommen? Mit einer Falle?
Luuja zog einen Schmollmund. Das hatte sie schon versucht, aber ohne Erfolg! Die großen bösen Männer
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