158 - Orguudoos Brut
ausschließlich mit ihren Jingiis.
Keiner von ihnen hatte je darüber nachgedacht, dass sie diesen Ausritt immer zur gleichen Zeit unternahmen.
Und keiner von ihnen merkte, dass sie beobachtet wurden.
***
Nach Mittag, in Lagtai
Aruula saß auf dem Heuboden, die wärmende Jacke fest um den Körper gezogen, und versuchte ihre Gedanken zu ordnen.
Chengai und die saikhanas hatten sie einfach gehen lassen, obwohl sie den abgeschlagenen Kopf entdeckt hatte. Das war ihr nicht geheuer. Schön, es gab weit und breit niemanden, dem sie davon hätte erzählen können – doch das Leben hatte Aruula gelehrt, dass Mörder keine Mitwisser mochten.
Diese Leute haben einen der Ihren getötet! Warum? Aus Eifersucht vielleicht? Wäre möglich! Es gibt hier nur drei Frauen, aber vier Männer. Fünf, wenn man Jem'shiin mitzählt.
Ihr Magen begann zu knurren, und so sah sich Aruula suchend um. Ein Stück unter ihr, auf einer Querstrebe, hingen ihre Satteltaschen. Sie stieg vom Heuboden, ging durch die Scheune und kramte in den Taschen nach einem Beutel getrockneter Beeren.
Der letzte Proviant, dachte Aruula, während sie sich ein paar saftlose Brabeelen in den Mund schob.
Gestern um diese Zeit war sie noch mit ihrer Flugandrone unterwegs gewesen und hatte vorgehabt, den heutigen Tag auf die Jagd zu verwenden. Sie lächelte freudlos. Ich hatte so manches vor!
Aruula fragte sich, wo Maalik inzwischen sein mochte. Die beiden neuen Freunde wären gern gemeinsam gereist, aber der Flug auf einer Androne kam für den blinden Mann nicht in Frage. Also hatte die Barbarin versucht, ein zweites Yakk aufzutreiben. Doch auch das war nicht gelungen, und so hatten die beiden vereinbart, dass Aruula an der Grenze auf Maalik und den Jungen Shikov, der ihm als Führer diente, warten sollte.
Die Planung wäre aufgegangen, hätte das Wetter nicht solche Kapriolen geschlagen. Aruula hatte an mehreren Tagen gar nicht starten können, weil das Schneetreiben zu heftig war, und sie musste nach jedem Sturm erst mühsam auf den Weg zurückfinden, den Maaliks Tiere nie verlassen hatten. Mit etwas Glück waren die beiden Freunde jetzt auf gleicher Höhe oder näherten sich doch zumindest rasch an.
Aruula hielt sich an dieser Hoffnung fest. Die Möglichkeit, dass Maalik vielleicht sogar schon vorbei gezogen war, erschien ihr zu klein, um weiter über sie nachzudenken.
Das Gute ist: Man kann ihn leicht erkennen, dachte sie und schnitt eine Grimasse bei der Erinnerung an Maaliks alten Mantel. Er war aus Ekkorn-Fell (Eichhörnchen), rot und blond gestreift. Er sah schrecklich albern aus – aber wer wollte einem blinden Mann das sagen?
Knarrend schwang die Scheunentür auf, und Aruula fuhr herum. Jem'shiin kam herein. Er hinkte und war ziemlich ramponiert. Rapushnik trottete mit einem Fetzen Stoff im Maul neben ihm her und war ziemlich zufrieden. Er blieb vor Aruula stehen, reckte den Kopf und schnaubte ihr flüchtig übers Haar, wie zur Begrüßung. Dann wandte er sich ab. Jem'shiin räusperte sich.
»Suresh hat mir erzählt, dass du Neezu entdeckt hast. Na ja – was von ihm übrig ist«, hob er an.
Aruula zog die Satteltaschen von der Strebe. »Was immer du sagst, es interessiert mich nicht! Dieses Dorf ist ein Ort der Dämonen, und ich werde es jetzt verlassen. Du versuchst besser nicht, mich daran zu hindern!«
Jem'shiin lauschte aufmerksam, verstand aber trotzdem nichts. Er kratzte an seinem Bart.
»Scheint, als wolltest du aufbrechen, Täubchen!«, sagte er hilflos. »Das ist ein Fehler, glaub mir! Da draußen schleichen ein paar üble Burschen herum. Im Dorf wärst du sicher, hier wohnen gute Leute, aber wie mache ich dir das klar?«
Jem'shiin hatte bei den Worten üble Burschen nach Norden gezeigt, und Aruula nickte. »Genau da will ich hin! Ich muss mein Schwert finden, das habe ich beim Absturz verloren. Danach werde ich weiterziehen, auf der alten Handelsstraße.«
Bei den ersten Worten hatte Aruula ebenfalls nach Norden gezeigt. Dann nach Süden, wo sich allerdings außer der Handelsstraße auch das Haus der Saikhan befand. Dabei war ihr Ton versöhnlich geworden, und Jem'shiin zog die falschen Schlüsse.
»Aaah! Du hast verstanden, dass du hier in Sicherheit bist, und deshalb wirst du bleiben!«, rief er. Bewunderung trat in sein Gesicht, vermischt mit einem Tropfen Wehmut. »Du bist so ein kluges Täubchen – und so schön! Was gäbe ich drum, wenn du mir gehören könntest! Aber Maddrax wird dich wohl nie freigeben, denk ich
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