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158 - Orguudoos Brut

158 - Orguudoos Brut

Titel: 158 - Orguudoos Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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– mit feinen weichen Stimmen, die täuschend echt nach Kinderweinen klangen. Es waren niedliche Geschöpfe. Doch das hielt niemanden davon ab, sie zu schlachten, denn diese engen Verwandten der Kaschmirziegen schmeckten wirklich äußerst delikat!
    Jem'shiin zog Aruula weiter, die verunsichert aussah. Ihre vermeintlich eingesperrten Kinder hatten sich soeben als Ziegenherde entpuppt, und die Barbarin musste sich fragen, ob es für die beiden anderen Merkwürdigkeiten – den Knochen und das Baumgrab – nicht ebenfalls eine harmlose Erklärung gab.
    Aruula blickte über ihre Schulter zurück. Zwischen den Ruinen war der Savannenbaum zu sehen, hinten am Dorfrand.
    Die Saikhan hockten unter seiner ausladenden Krone mit einem Bündel dünner Zweige, aus denen sie ein neues Gitter für die Grube fertigten.
    »Wo haben sie die Zweige her?«, murmelte Aruula argwöhnisch, denn es gab nur den einen Baum, und sein Geäst sah anders aus. Doch auch diese Ungereimtheit klärte sich auf.
    Als die Barbarin am Ziegenstall vorbei kam, erblickte sie durch das Fenster einen großen, ordentlich aufgestapelten Holzvorrat.
    Er musste dort schon seit dem Sommer liegen, denn von manchen Zweigen baumelten verdorrte Blüten herunter.
    Jem'shiin zeigte darauf. »Ich sag's ja: Wir hatten richtig Glück, obwohl es erst nicht so aussah! Als wir hier ankamen, vor zehn Nächten, da waren wir so was von fertig – Mann, grash'naa woitschit! Woche um Woche dieses Mistwetter; nichts zu essen, kalte… äh, Füße und kein Ende in Sicht!« Er breitete die Arme aus. »Und dann kommen wir hier an, und was soll ich dir sagen? Die haben so viel hier gelassen, diese Leute, dass wir bleiben können, bis es taut!«
    Jem'shiin stapfte weiter. Er kratzte dabei an seinem Ohr herum. »Aber komisch ist es doch! Ich meine: das waren zwei Familien, vielleicht auch drei, und die haben wirklich alles zurückgelassen! Stroh, Holz, zwei Yakks, die Nukkos und lauter Gerätschaften! Sogar den Pflug. Die Leute müssen über Nacht abgehauen sein – und das bei dem Wetter! Aber warum? Und vor allem: wohin?«
    Außer Nukkos und Yakks hatte Aruula kein Wort verstanden. Ihr war nach Gähnen zumute, was sie Jem'shiin aber nicht zeigen wollte. Deshalb drehte sie sich weg – und traute ihren Augen nicht: Einer der Saikhan hatte sich vor den Baum gestellt und urinierte gegen den Stamm!
    Jem'shiin tippte die Barbarin an und grinste. »Lamak ist ein Piig, da guckst du einfach nicht hin. Außerdem gibt's hier was Besseres! Da vorn, schau, da ist es! Mein Kamshaa.«
    Aruula war so perplex, dass sie sich widerstandslos mitziehen ließ, fort von diesem verstörenden Sakrileg und hin zu den Überresten eines Gebäudes. Der Eingang war ungewöhnlich breit, mit Querbalken gesichert. Einen Moment lang konnte man hinter ihnen etwas Braunes sehen, das aber gleich wieder verschwand.
    Im 21. Jahrhundert hatten diesen Eingang automatische Glastüren verschlossen, über denen ein buntes Neonschild angebracht gewesen war mit der Aufschrift »Supermarkt«.
    Damals war dem Gebäude noch ein appetitliches Bukett aus frischen Gewürzen, Backwaren und Tee entströmt. Aber diese Zeiten waren vorbei.
    »Wudan!« Aruula rümpfte die Nase, als sie dem Gestank von weichem, grünen Dung entgegen schritt.
    Jem'shiin winkte ab. »Ach, das ist gleich vergessen!« Er zwängte sich ächzend zwischen den Querbalken hindurch, richtete sich auf und zog ein Halfter von der Wand. »Ich hol ihn jetzt mal raus! Dann kannst du ihn dir angucken. Warte hier auf mich!«
    Aruula folgte ihm widerstrebend. »Warum muss ich da rein? Kannst du das Vieh nicht einfach ins Freie holen?«
    Die Barbarin fand es wenig verlockend, ein Gebäude zu betreten, dessen Boden übersät war mit zum Teil noch dampfenden Kothaufen. Aber sie tat es.
    Das Haus bestand aus einem einzigen Raum; zugig, dämmrig und mit Schneeverwehungen in den Ecken. Das Dach war stellenweise eingestürzt, und vom Inventar des ehemaligen Supermarktes war nicht mehr viel vorhanden. Es hatte schließlich fünfhundert Jahre Zeit gehabt, sich in seine Bestandteile aufzulösen und zu zerfallen. Allerdings gab es noch zwei lange, parallel stehende Verkaufsreihen aus Stahl.
    Die Regalböden hingen krumm und schief in ihren Halterungen. Sie waren überzogen mit einer schwarzen Einheitsschicht aus verrotteten Nudeln, Tütensuppen und Hygieneartikeln.
    Und sie schwankten!
    Aruulas Augen weiteten sich: Da stand ein riesiges Tier im Dämmerlicht, schubbelte sich den Pelz an

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